Koizumi lässt Opfer abblitzen

Japan erinnert an den Atombombenabwurf über Hiroschima vor sechzig Jahren

BERLIN taz ■ Begleitet von Appellen zur Abschaffung der Atomwaffen haben 55.000 Menschen am Samstagmorgen im Friedenspark der Stadt Hiroschima dem Abwurf der Atombombe vor 60 Jahren gedacht. Um 8.15 Uhr, dem Zeitpunkt der Bombenexplosion, legten Überlebende, Angehörige, Bürger und Aktivisten eine Schweigeminute ein. Im dem vor wenigen Tagen von einem Rechtsradikalen geschändeten leeren Erinnerungsgrabmal im Zentrum des Parks wurde die Liste der Todesopfer des ersten Atombombenabwurfs um 5.375 Namen auf insgesamt 242.437 erweitert.

Hiroschimas Bürgermeister Tadatoshi Akiba kritisierte die Atommächte, die „das Überleben der Menschheit gefährdeten“ und in der UN ihr Vetorecht nutzten, um egoistische Zielen durchzusetzen. Viele Menschen hätten sich in ihr vermeintliches Schicksal ergeben, nichts gegen die Bedrohung durch Atomwaffen zu tun. „Niemand sollte je wieder so leiden wie wir“, sagte Akiba. Er schlug vor, ein von der UN-Vollversammlung eingesetztes Gremium solle die Arbeit der im Mai gescheiterten Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag fortsetzen und Vorschläge für eine atomwaffenfreie Welt erarbeiten.

Ministerpräsident Junichiro Koizumi versprach, Japan werde sich für eine atomwaffenfreie Welt einsetzen und sagte: „Ich bete für die Menschen, die damals getötet wurden.“ Der konservative Premier, der eine Remilitarisierung der Außenpolitik betreibt, bekam nur höflichen Applaus. „Koizumi wollte anders als seine Vorgänger keine Vertreter der Opfer treffen und zog es vor, woanders eine Kunstausstellung anzuschauen. Das nehmen ihm hier viele übel“, sagte der Friedensaktivist Nobuo Kazashi der taz. Auch habe der Premier ohne Anteilnahme gesprochen. Er wird wohl mehr an sein politischen Überleben gedacht haben. Heute will das Oberhaus über die umstrittene Postreform abstimmen. Die Medien sagen Koizumi eine Niederlage sowie vorgezogene Neuwahlen voraus.

An dem Gedenken nahmen laut der liberalen Zeitung Asahi Vertreter aus 32 Staaten teil, jedoch kein offizieller Repräsentant der USA, deren Luftwaffe die Atombombe abgeworfen hatte. Von den im UN-Sicherheitsrat vertretenen fünf anerkannten Atommächten habe nur Russland einen Vertreter geschickt. Überlebende äußerten sich besorgt über das schwindende Interesse an Hiroschimas Erfahrung. So bezeichnete die konservative Zeitung Yomiuri den hinter den Friedensappellen stehenden Pazifismus offen als „hohl“ und forderte Atomwaffengegner auf, die Realitäten anzuerkennen. SVEN HANSEN