Freie Bahn für Nazis

GRUSEL 750 Rechtsextreme demonstrieren am Samstag in Mitte und Friedrichshain gegen linke Gewalt. Polizei verhindert mit massivem Aufgebot Blockaden von Nazigegnern

„Nazis konstruieren Anlässe, um den politischen Gegner zu diffamieren“

Bianca Klose, Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus

VON SEBASTIAN PUSCHNER

Rund 750 Nazis sind am Samstag weithin ungehindert durch Berlin marschiert. 1.000 Polizisten stoppten mehrere Blockadeversuche von Gegendemonstranten und eskortierten die Rechten ohne größere Unterbrechungen vom Alexanderplatz zum S-Bahnhof Landsberger Allee. Aus dem ganzen Bundesgebiet waren zumeist Angehörige von Freien Kameradschaften angereist, um „gegen linksextremistische Gewalt“ zu demonstrieren.

Anlass der Demo war der Brandanschlag auf die bei Rechtsextremen beliebte Kneipe „Zum Henker“ vor mehr als einer Woche, bei dem drei Nazis verletzt worden waren. Dass die Polizei die Tat am späten Freitagabend aufgeklärt und einen politischen Hintergrund ausgeschlossen hatte (siehe unten), interessierte die Demonstranten am Samstag nicht. Aufgrund der „Verstrickungen von krimineller Antifa, Polizei, Politik und Presse“ sei dies unglaubwürdig, hieß es in Redebeiträgen. Der Hamburger Neonazi-Kader Christian Worch fabulierte etwa von seiner „ersten Straßenschlacht vor 32 Jahren“, nach der er und seine Kameraden „Hetzkampagnen der Medien“ ausgesetzt gewesen seien.

„Das Ganze zeigt, dass die Nazis Anlässe konstruieren, um den politischen Gegner zu diffamieren“, sagte die Geschäftsführerin des Trägervereins der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR), Bianca Klose, der taz am Rande der Gegenkundgebung „Bunt, laut & friedlich!“. Durch dieses aggressive Vorgehen lenkten die Rechtsextremen von internen Streitigkeiten ab. Auch bei der Demonstration am Samstag bezeichneten Redner der Nazis Klose als „geistige Brandstifterin“.

Am S-Bahnhof Jannowitzbrücke drängten Polizeibeamte die Gegendemonstranten, darunter Linksautonome ebenso wie Mitglieder verschiedener Parteien und Verbände, rasch von der Straße, sodass die Rechten passieren konnten. Nahe kamen sich beide Seiten am Strausberger Platz. Vereinzelt flogen Gegenstände, im Getümmel verlor auch die Polizei zeitweise die Übersicht: Als ein Ei und zwei Steine die Seiten wechselten, sprühte ein Beamter Reizgas in den Naziaufzug. Kollegen zogen ihn daraufhin weg und stauchten ihn zusammen.

Indessen marschierten die Nazis an einer brennenden Papiertonne vorbei zum Platz der Vereinten Nationen. Eine dort von der Friedrichshainer „Initiative gegen rechts“ angemeldete Gegenkundgebung hatte die Polizei untersagt. So bot sich in der Landsberger Allee ein skurriles Bild: Auf der rechten Fahrbahn liefen die Nazis, auf der linken die Gegendemonstranten – beide Seiten skandierten Parolen über die dazwischen positionierten Polizeikräfte.

Ein Zeichen anderer Art setzten währenddessen BürgerInnen in Schöneweide: In einem „stillen Umzug“ zogen sie an dem Nazitreff „Zum Henker“ vorbei. Aufgerufen dazu hatten der Bezirk Treptow-Köpenick und das lokale Bündnis für Demokratie und Toleranz.