Hart bis weich

Die Nachwuchsplattform Freischwimmer*innen entert das queerfeministische Performancefeldund provoziert dabei die ganze Reaktionsbandbreite von Gähnen bis wissendem Gelächter

Das Performancekollektiv Hannsjana mit „Die große M.I.N.T Show“ Foto: Marie Weich

Von Tom Mustroph

Frauen, die schwitzen – und das nicht, weil sie Hausarbeit machen –, sind der zentrale Aspekt von „Sweat“, einer Cometogether-Produktion der beiden Performancelabel Technocandy und Christians//Schwenk. Fünf Frauen stellen ein Fitnesscenter nach, machen Liegestütze – nur wenige, was nicht unbedingt zur Glaubwürdigkeit der physischen Leistungsfähigkeit beiträgt – wirbeln ein paar Gewichte durch die Luft und lassen Reifen und Springseile rotieren.

Danach wird der Wettkampfcharakter von Sport veräppelt, denn jede Teilnehmerin erhält einen Preis für Exzellenz in einer frei erfundenen Disziplin. Glaubt man dem Ankündigungstext, dann soll dies ein Zeichen von Empathie und Solidarität sein.

Der performative Höhepunkt ist ein – allerdings unmäßig ausgedehntes – Rollbrettballett. Jede Teilnehmerin schnappte sich ein Board mit Rollen, einer Hybride aus Skateboard und Transportroller, ästhetisch aber näher an Letzterem dran, und flitzte munter durch den Raum. Manche zuschauende Person mochte sich an Stationen der eigenen Laufbahn erinnert haben, als Möbelpacker oder Theatertechnikerin, als man in Momenten der Langeweile oder aus purer Lust an der Arbeitsverweigerung auf Transportrollern durch leergeräumte Lofts oder über Hinterbühnen fegte. In den Sophiensælen wird dies als Performance verkauft.

Genauso wie die anschließende Videoprojektion, in der man den Damen beim Shoppen und Proseccotrinken in Zürich zusehen musste. Dazwischengeknallt wurden ein paar queerfeministische Texte, die ebenfalls auf der Projektionstafel flimmerten. Ein Gefühl wie beim Frontalunterricht.

Inhaltliche Quintessenz war, dass auch Sisterhood problematisch, weil von Machtverhältnissen geprägt sein kann. Welch aufregende Erkenntnis.

Es war ein Abend auf Nicht­schwimmer*innen-Niveau. Hoffnung machte nur der zuweilen freche Zugriff auf Themen. Diskursiv tauchten die Performerinnen aber weit unter das in früheren Arbeiten bereits gezeigte und bei entsprechender Berufserfahrung, unter anderem als Referentin für rassismus- und antisemitismuskritische Bildung, auch stark anzunehmende Reflexionsniveau ab.

Entschädigung bot die zweite Produktion des Eröffnungswochenendes. „Die Große M.I.N.T.-Show“ vom Performancekollektiv Hannsjana spielte vergnügt mit den Klischeepolen von „harten“ und „weichen“ Wissenschaften und „männlichen“ und „weiblichen“ Eigenschaften. Höhepunkt war ein „Gelb“-Werbeprojekt, das Männer fit machen soll für eine Karriere in den Fächern Germanistik und Erziehungswissenschaften. Es war eine parodistische Dopplung der MINT-Kampagnen, also des teilweise sehr gutväterlich gedachten Abbaus von Schwellen zu Mathematik, Ingenieurs-, Natur- und Technikwissenschaften. Eingebettet war die Episode in eine Mischform aus Wissenschafts-, Game-, Quiz- und Talkshow. Durchaus erweitert hat das Format die Rahmenhandlung, die die Show als algorithmenbasiert präsentierte. Hannsjana, die bislang vor allem mit Walk Acts sowie einer Drag Show im Theater Thikwa auf sich aufmerksam machten, eroberten sich mit dieser Freischwimmer*innen-Produk­tion neues Terrain – und, im Frei­schwimmer*innen-Kontext auch das Schwimmabzeichen Seepferdchen.

Diskursiv tauchten die Performerinnen aber weit unter früheres Niveau ab

Nachdenklich stimmte allerdings, dass die Performerinnen, in der Mehrzahl im Alter von Ende 20 bis Mitte 30, noch unter dem Label „Nachwuchs“ präsentiert werden. Manch Gleichaltrige haben ihr Start-up bereits mit Millionengewinn an Google verkauft, andere sitzen im Bundestag und wieder andere kehrten mit posttraumatischen Belastungsstörungen aus Afghanistan zurück – sie aber firmieren als „Küken“ des Performancebetriebs.

Das lässt zuallererst auf Mängel der Branche schließen. Entweder dauert die Ausbildung zu lang oder die Schutzraum-Mentalität wird bis ins mittlere Erwachsenenalter nicht abgelegt oder eben die Zugänge zu den Bühnen sind derart vernagelt, dass vor allem Performerinnen zu langen Schleifen im Nachwuchsorbit gezwungen sind.

Das Festival geht mit zwei Wutausbruch-Performances („Angry Hour“ von Tiina Sööt und Dorothea Zeyringer und „Wild Bore“ von Zoe Coombs Marr, Ursula Martinez und Adrienne Truscott, beide 3., 4. 12.) weiter. Ein Höhepunkt dürfte die „Lecture Performance“ von Jack Halberstam, geboren als Judith, über transfeministische Punk-Performances werden (6. 12.). Den Schlusspunkt setzt Caroline Creutzburg mit der posthumanoiden Identitätserweiterungsperformance „Woman with Stones“ (7., 8. 12.).

Freischwimmer*innen. The Future is F*E*M*A*L*E*, bis 8. 12. in den Sophiensælen, Einzeltickets 15/10 Euro, Kombiticket 23/15 Euro