Klagen fürs Minimum

Nach den Ferien verhandelt das Verwaltungsgericht Hartz-Klagen en gros. Dabei geht es um alles

Nicht immer kommt es zur Klage. Manches klären Gericht und Bagis im Vorfeld

Nach der Sommerpause rollt die Hartz-IV-Welle durch das Verwaltungsgericht. Dann werden nach und nach die 236 Hauptsacheverfahren gegen die Bremer Arbeitsgemeinschaft für Integration und Soziales (Bagis) entschieden, die seit Jahresbeginn aufgelaufen sind – darunter einige Sozialhilfe-Altfälle. Klagen allesamt, bei denen Betroffene die Verschlechterungen durch Hartz IV nicht hinnehmen wollen oder grundsätzlich Klage führen – etwa, weil sie die Abschaffung der alten Arbeitslosenhilferegel für verfassungswidrig halten. Oder den Zwang, bei der Bagis eine Eingliederungsvereinbarung unterzeichnen zu müssen – obwohl in Deutschland die Vertragsfreiheit Grundrecht ist.

„Das sind aber mehr die Einzelfälle“, sagt Richter Eckhard Wehe. Einen solchen eher grundsätzlich gelagerten Fall hat er im Eilverfahren bereits abschlägig beschieden: Ein Ingenieur hatte eine Umschulungsmaßnahme abgelehnt und die daraufhin erfolgte 30-prozentige Sperre des Arbeitslosengeldes nicht hinnehmen wollen. Sein Argument: Als Ingenieur müsse er angemessene Angebote bekommen. Auch zu einem Beratungstermin bei der Bagis war der Mann nicht erschienen, was ihm – zu Recht, so die Richter – weitere zehn Prozent Abzug brachte. Immerhin war der Kläger persönlich betroffen, was nicht immer der Fall sei, wie die Richter bemängeln. Dennoch werden sie „jeden einzelnen Fall bewerten“.

Seit Jahresbeginn hat das Verwaltungsgericht vor allem Eilsachen entschieden – und zwar 30 Prozent mehr als im ersten Halbjahr des Vorjahres. 181 Verfahren sind aufgelaufen. Schwerpunkt ist dabei die Anrechnung von Einkommen und Vermögen auf das Arbeitslosengeld II. Weiterer Streitpunkt ist die Übernahme von Energiekosten und Mietrückständen, Schulden also, durch die öffentliche Hand.

Das Problem gab es zwar schon vor Hartz IV, doch lassen die Energieversorger Schuldnern heute weniger Spielraum. Und ist der Strom erst abgedreht, bleibt er so lange weg, bis alle Schulden beim Versorger bezahlt sind. Wer das Amt für soziale Dienste jedoch per Richterbeschluss zur Hilfe zwingen will, hat nur begrenzte Aussicht auf Erfolg. Allenfalls kleine Kinder im Haushalt rechtfertigen nach Richtermeinung die staatliche Nothilfe.

Eine Verschnaufpause haben die Richter unterdessen noch auf dem Gebiet der mit Mietkosten verbundenen Klagen, da Bremen einen Zwangsumzug bei zu hohen Mieten für Arbeitslosengeld-II-EmpfängerInnen noch nicht durchsetzt. Auch beim viel umkämpften Anrechnen des Einkommens von LebenspartnerInnen sorgt eine Bagis-Anordnung vorerst für leichte Entspannung. Wer für den Partner die Krankenversicherung bezahlen muss, weil der keine öffentliche Stütze bekommt, dem wird diese Ausgabe berücksichtigt. Das betrifft vor allem Geringverdiener, die zusammen nur kurz über der Einkommensgrenze liegen, nach dem bezahlten Krankenkassenbeitrag aber darunter.

Bei Gericht kennt man „Einstandsgemeinschaften“ im übrigen als juristisch umkämpftes Terrain. Zwar haben die Bremer Richter bisher noch keinen Hausbesuch gemacht, um Lebensgemeinschaften anhand von Schlafzimmerbetten und Zahnputzbechern zu rekonstruieren. KlägerInnen brachte das bisher aber keine Vorteile: Wo ein gemeinsames Kind und eine langjährige Lebensgemeinschaft belegt sind, ist für die Richter die Lage ohnehin klar. Auch ähnliche Klagen seien bislang überwiegend durchgefallen, heißt es. Wo es gleich ums ganze Häuschen geht, liegt eine wichtige Bremer Entscheidung noch auf Eis – die, dass die Bagis die Eigenheimzulage nicht als Einkommen anrechnen darf. Das haben andernorts Obergerichte schon im Eilverfahren entschieden. Auch in Bremen wird es wohl so kommen.

Eine Statistik darüber, wie aussichtsreich die Klage vorm Verwaltungsgericht ist, gibt es nicht. Nur ganz vorsichtig schätzt Richter Wehe grob: Die Eilverfahren gehen bislang „überwiegend positiv“ für die Kläger aus. „Aber vielen wird auch im Vorfeld abgeholfen“, sagt er. Denn kaum geht der Fall bei der zuständigen Rechtsantragsstelle im Gerichtshaus am Wall ein, so wird er auch schon zur Stellungnahme an die Bagis weiter geleitet. „Da regelt sich manches“, glaubt auch Richter Friedemann Traube an den guten Einfluss des Gerichts. ede