berliner szenen
: Wie Foster Wallace auf der Torte

In ganz besonderen Nächten, wenn der rote Riese Mira am Nachthimmel pulsiert, verwandelt sich Vaus Plattenladen in der Yorckstraße in einen Dancefloor, der Ladentisch wird zur DJ-Kanzel, und die Kunden werfen die Arme in die Luft.

Heute müssen sie aber erst einmal Roberts Lesung über sich ergehen, nein, auf sich wirken lassen, freie Verse aus den finstersten Ecken der Depression eines Werbetexters: „Ich fragte sie, ob sie meinen Schwanz lutschen wolle, sie antwortete, dass ich sie am Arsch lecken könne.“

Oder: „Ovid, Ovid, Ovid – dumm von mir zu denken, ich könnte sie lieben.“

Und so weiter. Alles untermalt von den Klängen einer Hamburger Jazzgitarre.

Ich lehn am Türrahmen, fühl mich wie Foster Wallace auf der schwimmenden Hochzeitstorte und seh, wie Robert im spärlichen Licht mit der Weitsichtigkeit kämpft. Die Texte kommen trotzdem ziemlich unverkrampft rüber, gerade so, als hätte er die ganze Scheiße wirklich selbst erlebt oder zumindest aus gefährlicher Nähe beobachtet. Die Gäste lachen dazu kathartisch, andere husten katarrhalisch. Ein Terrier rennt aufgeregt zwischen den vielen Beinen umher.

Dann ist die Lesung urplötzlich zu Ende.

Flaschen werden entkorkt, Joints herumgereicht, und Vau spielt Bob Dylan. Irgendwas stimmt nicht mit der Physik, denke ich, als ich Robert begrüße. Fünfzehn Jahre, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben und er mir seine alte Waschmaschine überließ. Aber es kommt mir vor, als wären es bloß elf.

Der Köter schifft vor Freude ins Raum-Zeit-Kontinuum.

Und wie wir so dastehen mit dem Bier in der Hand und zum Takt von „Highway 61 Revisited“ in der Hundepisse wippen, bin auch ich froh, gerade jetzt hier zu sein, im Vauniversum.

Sascha Josuweit