Erster Schultag mit kleinen Schönheitsfehlern

Gestern begann für die meisten der 290.000 SchülerInnen wieder der Alltag: Das von einigen Experten erwartete Chaos blieb aus. Mit wenigen Ausnahmen: An der City-Grundschule etwa standen die Kinder vor verschlossenen Türen

Ziemlich sauer waren die Eltern der City-Grundschule in Mitte, als sie gestern Morgen mit ihren Kindern vor dem Gebäude in der Sebastianstraße standen. Eigentlich hätte das bereits für den Unterricht umgebaut sein müssen. Doch das Schulamt hatte vergangenen Mittwoch entschieden, das Gebäude nicht freizugeben. Die Baustelle sei noch zu gefährlich, so die Begründung.

„Es war keine Zeit mehr, die Eltern zu informieren“, verteidigt Rektor Hans-Joachim Schmidt das Vorgehen. Und so mussten die Schüler per Bus in das bisherige Schulgebäude in der Adalbertstraße gebracht werden. „Der Bau hat sich unvorhersehbar verzögert“, erklärt Schulamtsleiter Jürgen Welluhn. Selbst die Senatsverwaltung für Bildung fordert eine bessere Informationspolitik für die Eltern.

Auch anderswo ist nicht alles glatt gelaufen. An der Möwensee-Grundschule in Mitte fehlen anderthalb Stellen, um die Essensausgabe für die 430 Schüler zu sichern. „Das ist sehr ärgerlich. Hier hätte das Bezirksamt handeln müssen“, sagt der Rektor der Schule, Ingo Strutz.

Improvisiert werden musste auch am Gottfried-Keller-Gymnasium in Charlottenburg. „Wir haben nur eine Lehrerausstattung von 95 Prozent“, sagt Direktor Rainer Leppin. Zwei Referendare seien nicht erschienen, weil sie woanders eine Stelle bekommen hätten, eine beförderte Kollegin sei nicht ersetzt worden, dazu komme eine Krankmeldung.

An den meisten Schulen verlief der erste Tag nach den Ferien jedoch ohne gravierende Probleme. Zum Beispiel an der Theodor-Plievier-Schule im Wedding, Schulleiterin Angelika Prase-Mansmann erklärt: „Es hat alles sehr gut funktioniert.“ Die Oppenheim-Grundschule in Charlottenburg ist ein weiteres Beispiel für einen ruhigen Schultag, auch wenn Rektor Heinz-Helmut Dettmer-Bessler erst vergangene Woche die Lehrer zugewiesen bekommen hat und noch mit den Lehrplänen kämpft.

So verwundert es nicht, dass Bildungssenator Klaus Böger (SPD) gestern ein positives Fazit zog: Es herrsche Aufbruchsstimmung an den Schulen. Allerdings müsse geprüft werden, wo individuelles Fehlverhalten vorliege. Das habe aber nichts mit der Schulreform zu tun.

Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und der Landesausschuss der Elternvertreter entdeckten kein Chaos an den Schulen – entgegen anderen Befürchtungen noch in der vergangenen Woche. Die genannten Beispiele seien jedoch typisch für zwei Problemfelder: Stellenbesetzung und Baustellen. „An vielen Schulen sind die Umbauten noch nicht fertig“, kritisiert André Schindler, der Vorsitzende des Landeselternausschusses.

Probleme mit der Stellenbesetzung hat der grüne Bildungspolitiker Özcan Mutlu bei einer Umfrage unter Schulen und Eltern ausgemacht. So seien zum Beispiel in der Bruno-H.-Bürgel-Grundschule in Lichtenrade nicht alle Erzieherinnenstellen besetzt.

Am stärksten von den Schulreformen betroffen sind die Grundschulen. Gestern begann für sie der „Härtetest“ in Sachen Kinderbetreuung. Inge Hirschmann, Leiterin der Heinrich-Zille-Grundschule in Kreuzberg, ärgert sich darüber, dass die Schulen bis Schulbeginn nicht wussten, wie viele Verträge Eltern mit den Bezirken über Ganztagesbetreuung abgeschlossen haben. „Bei uns standen 15 Eltern ohne Verträge auf der Matte, auf dem Bezirksamt waren es weitere 70“, berichtet Hirschmann.

Als Vorsitzende des Grundschulverbandes wünscht sich Inge Hirschmann, dass die Verwaltung künftig Reformen besser organisiert: „Wir hätten das mit mehr Freude gemacht, wenn nicht die ganze Arbeit zu uns nach unten verschoben worden wäre.“ RAFAEL BINKOWSKI