Sieg über den Schmerz

Die Schwedin Carolina Klüft kämpft sieben Mal, sichert sich knapp den Titel im Mehrkampf und beweist, dass sie im Ernstfall auch die Zähne zusammenbeißen kann

HELSINKI taz ■ Die Fronten waren nach zwei Tagen und sechs Disziplinen geklärt, und das Ergebnis war Folgendes: Die Schwedin Carolina Klüft lag mit 18 Punkten vor der Französin Eunice Barber in Führung, was umgerechnet auf den finalen 800-Meter-Lauf einen Vorsprung von 1,2 Sekunden ergab. Das bedeutete den ultimativen Showdown der beiden weltbesten Leichtathletinnen.

Als der Startschuss durch das Olympiastadion von Helsinki donnerte, war die Spannung greifbar. Barber lief los, als wäre nicht nur Klüft, sondern der Leibhaftige hinter ihr her, nach der Hälfte des Rennens hatte die Französin zwölf Meter Vorsprung. In diesem Moment war sie die neue Weltmeisterin. Aber noch lag eine Stadionrunde zwischen ihr und dem Titel. Als es nur noch eine halbe war, hatte sich auch ihr Vorsprung halbiert. Dann ging Barber in die letzte Kurve. Dort spürte sie den Atem der blonden Schwedin erstmals im Nacken. Klüft war wieder dran. Auf den letzten 100 Metern zog sie vorbei. Das große Duell hatte gehalten, was es versprochen hatte. Die blonde Schwedin lag im Ziel, rang nach Luft und war glücklich: Mit 6.887 Punkten hatte sie ihren Titel verteidigt.

Aber in Punkten lässt sich nicht ausdrücken, was sich abspielt in zwei Tagen und sieben Disziplinen. Denn wie schnell könnte dieser Titel als minderwertig eingestuft werden, schließlich hatte Klüft die WM vor zwei Jahren mit 7.001 Zählern gewonnen und letztes Jahr Olympia mit 6.952. Beide Ereignisse haben das 22-jährige Mädchen aus Växjö in Südschweden zum neuen Superstar der Leichtathletik aufsteigen lassen, weil ihre Siege so frisch dahergekommen waren. Klüft wühlte sich nicht durch die Disziplinen, sie durchtanzte sie. Und anschließend wurde gelacht und gescherzt, dass es eine Freude war. Und sie sagte diesen Satz: „Ich bin ja nur ein kleines Mädchen in einer großen Welt.“ Es gab Kollegen, die sie daraufhin mit Pippi Langstrumpf verglichen.

In Helsinki war von alledem nichts zu sehen und zu hören. Zwar versuchte Klüft auch hier, fröhlich zu sein und Spaß zu haben, aber bisweilen mischte sich Schmerz unter ihr Lächeln, hervorgerufen durch eine Bänderdehnung, die ihren linken Knöchel dick und grün-blau hatte werden lassen. Im Siebenkampf sind solche Verletzungen siebenmal schmerzhafter, aber selbst das konnte Klüft nicht aufhalten. Sie mag in Helsinki nicht so viele Punkte wie gewöhnlich gesammelt haben, aber sie hat dennoch ihren größten Sieg errungen.

FRANK KETTERER