IN DEUTSCHLAND UND JAPAN BEGEHEN DIE PREMIERS SYNCHRON HARAKIRI
: Die zwei unbeweglichen Industrienationen

Die politischen Konstellationen der beiden Industrienationen Japan und Deutschland ähneln sich derzeit verblüffend: Das gestern gescheiterte Post-Privatisierungsprogramm von Ministerpräsident Koizumi wäre für Japan so einschneidend, wie sie die Hartz-Reformen der Regierung Gerhard Schröder für Deutschland waren. In Tokio wie in Berlin verweigern sich die Regierungschefs nach politischen Misserfolgen dem Rücktritt und suchen ihr Heil in Neuwahlen. Für Schröder wie für Koizumi könnte sich dies als politischer Selbstmord erweisen.

Beide unterliegen dem Paradox, als Reformer an ihrer eigenen Klientel zu scheitern und Nachfolger im Nacken zu haben, die unter dem anhaltend hohen Druck des internationalen Wettbewerbs wohl noch einschneidendere Reformen durchsetzen werden. Zwar ist Japan nach langen Jahren der Stagnation derzeit mit einem höheren Wirtschaftswachstum gesegnet als Deutschland. Dies ist allerdings kaum einer wirksamen Reformpolitik zu verdanken, sondern der Nähe zum boomenden China. Deutschland fehlt ein solches Zugpferd, im Gegenteil. Ihm selbst käme die Rolle zu, Europa wirtschaftliche Impulse zu geben. Umgekehrt ist die außenpolitische Rolle der Bundesrepublik positiver zu bewerten: Sie ist fest eingebunden in die Europäische Union und unterhält, auch etwa zu Frankreich und Polen, stabile Beziehungen. Das angespannte politische Verhältnis zwischen Peking und Tokio einschließlich des unausgesprochenen Kampfes um die regionale Vorherrschaft sind hingegen für Japan ein außenpolitisches Risiko.

Ob ein Sieg der jeweiligen Opposition in Japan am 11. September und in Deutschland am 18. September die wirtschaftlichen Probleme lösen hilft, darf stark bezweifelt werden. Zumindest in Japan wäre eine Regierungsübernahme der Opposition ein politischer Fortschritt hin zu mehr Pluralismus, da die regierende LDP bisher das System völlig dominierte und eine verfilzte politische Landschaft hinterlässt. Dabei dürfte auch Schröder unfreiwillig den Pluralismus befördern – auf der Linken. SVEN HANSEN