Brandwunde, schwarz auf rot

Der antisemitische Anschlag auf die Synagoge in Halle ist für die jüdische Gemeinde in Lübeck besonders schwer zu ertragen: Ihre Synagoge war 1994 als erste seit der Nazizeit zur Zielscheibe eines Brandanschlags geworden

Nach dem zweiten Brandanschlag 1995: Mitglieder der jüdischen Gemeinde verlassen die Lübecker Synagoge nach einem Gottesdienst Foto: Stefan Hesse/dpa

Von Friederike Grabitz

Als am 9. Oktober, dem jüdischen Feiertag Jom Kippur, der Rechtsex­tremist Stephan Balliet versuchte, in der Synagoge im Paulusviertel von Halle ein Massaker zu verüben, riss er damit bei jüdischen Gemeinden in ganz Deutschland alte Wunden auf. In Lübeck sind die Narben dieser Wunde besonders tief. Im März 1994 hatten vier junge Männer aus dem rechtsradikalen Milieu einen Brandanschlag auf die Synagoge verübt – es war der erste in Deutschland seit der Nazizeit. Verletzt wurde niemand, aber der Eingangsbereich des Gebäudes brannte aus. Gleich im Jahr darauf warfen ein weiteres Mal Rechtsex­treme Molotow-Cocktails auf die Synagoge.

Es war eine Zeit, in der Lübeck mit Terror von rechts Schlagzeilen machte. Wenig später, im Januar 1996, starben bei einem Brandanschlag auf ein Lübecker Asylbewerberheim zehn Menschen, 55 wurden verletzt. Die mutmaßlichen Mörder wurden nicht verurteilt.

Der 9. Oktober erinnerte die Lübecker Juden daran, dass Rechtsextremismus und Antisemitismus eine konkrete, tödliche Gefahr sind. Am Tag nach dem Anschlag hielten 60 LübeckerInnen vor der Carlebach-Synagoge eine Mahnwache ab. Während VertreterInnen verschiedener religiöser und zivilgesellschaftlicher Gruppen ihre Kerzen anzündeten, hielt ein Polizist das Maschinengewehr im Anschlag. Seit Mitte der 1990er-Jahre wird die Synagoge von einem Polizisten bewacht, rund um die Uhr. Seit Kurzem sind es zwei. „Wir schicken unsere Gottesdienst-Zeiten an die Polizei“, sagt Gemeindemitarbeiterin Milena Tartakowski. „Unsere Gemeindemitglieder sind beunruhigt.“ Verschärfte Sicherheitsvorkehrungen sind die erste Reaktion nach den Anschlägen.

Objektiv haben antisemitische Straftaten in Deutschland nicht zugenommen, sie sind seit der Jahrtausendwende stabil – auf hohem Niveau. 2009 hat das Bundesinnenministerium 1.690 antisemitische Delikte gezählt, ebenso viele wie 2001. 2018 waren es mit 1.603 Straftaten etwas weniger. Erfasst wurden meistens Beleidigungen, Schmierereien oder auch das Schänden von Grabmalen sowie knapp 50 Gewalttaten. An diesen alltäglichen Antisemitismus hat der Anschlag in Halle die Öffentlichkeit erinnert.

„Man muss sich keinen Illusionen hingeben. Es gibt diesen Judenhass in der Gesellschaft“, sagt Solveig Steinkamp, Vorsitzende der Liberalen jüdischen Gemeinde Lübeck. „Historisch gesehen gab es immer schon den Sündenbock – und es ist ja auch gar nicht so unpraktisch, die Schuld für alles auf eine kleine Gemeinschaft zu schieben.“ Die sehr kleine liberale Gemeinde vertritt ein progressives Judentum, in Abgrenzung zur größeren orthodoxen jüdischen Gemeinde. Diese hat in Lübeck 600 Mitglieder, darunter 70 bis 100 aktive.

Die beste Prävention gegen Hass wären Kontakte zur jüdischen Kultur. Dass die Gottesdienste der orthodoxen Gemeinde auf Hebräisch abgehalten werden und Nichtjuden grundsätzlich nicht konvertieren dürfen, macht das etwas schwierig. Möglich, dass auch nicht alle nachvollziehen können, warum Frauen im orthodoxen Gottesdienst abseits sitzen müssen und die Rabbiner ihnen nicht die Hand geben dürfen.

Dazu kommt, dass 80 bis 90 Prozent der praktizierenden Juden russischer oder ukrainischer Herkunft sind. Sie fallen damit in ein doppeltes Diskriminierungsraster, als Juden und als Osteuropäer.

Die orthodoxe Synagoge, auf die der Brandanschlag verübt wurde, wird seit fünf Jahren saniert, im Frühjahr soll das stattliche Backsteingebäude mit seinen drei Stockwerken neu eröffnet werden.

Eine Stelle wird wohl unrenoviert bleiben, als Mahnmal: die Backsteine an der roten Seitenwand, die seit dem Brand im März 1994 schwarz gefärbt sind.