ORTSTERMIN: IN EMDEN LASSEN SICH MUSEUMSBESUCHER KUNSTWERKE EINTÄTOWIEREN
: Ein Fohlen hier, ein Vogel dort

„Man trägt das für immer“, sagt Wilfried, „da will man sich ja nicht von irgendjemandem stechen lassen“

„Tut fast gar nicht weh“, sagt Birgit und lächelt auch nur ein ganz kleines bisschen gequält. Der Stuhl, in dem die 44-Jährige sitzt, könnte auch in einer Zahnarztpraxis stehen, statt in einer Kunstgalerie, und was da nur beinahe weh tut, ist eine Nadel. Mit der bearbeitet Tätowiererin Zoe Thorne Birgits Oberarm.

Zu einem Tattoo-Event hat an diesem Wochenende die Kunsthalle Emden eingeladen, das Motto: „Kunst, die unter die Haut geht“. Eine mit viel Plastik ausgekleidete Ecke mit Liege und Rollwägelchen dient Thorne als eine Art mobiles Studio. Immer wieder mal schauen Menschen interessiert herein, einige wollen offenbar nur mal gucken, andere kommen unangemeldet vorbei und hoffen, selbst noch dran zu kommen. Eine Frau habe gefragt, ob sie die Initialen ihrer Kinder tätowiert haben könnte, erzählt Thorne. Konnte sie nicht: Es soll ja um Kunst gehen, um die Sammlung des Emder Museums. Die Auswahl der Motive war festgelegt, und so etwas wie Initialen sticht die Berlinerin ohnehin nicht.

Dass Kunden Motive aus der Kunstwelt gestochen haben möchten, kommt Thorne zufolge gar nicht so selten vor, sie schätzt den Anteil in ihrem Studio auf bis zu 20 Prozent. Tuschezeichnungen von Schiele seien etwa dabei, die berühmte Hokusai-Welle, sogar Dürers „Betende Hände“. In Emden nun stehen, in einem eigenen kleinen Ausstellungsraum präsentiert, Kohlezeichnungen der Schweizer Künstlerin Miriam Cahn zur Wahl, ein paar Werke von Alfred Kremer, Franz Marcs „Blaue Fohlen“ und sogar eine Skulptur, das „Trojanische Pferd“ von Lothar Fischer. „Da kommt jemand eigens angereist, um sich das stechen zu lassen“, sagt die Initiatorin der Aktion, Claudia Ohmert: „Bin gespannt, wie das umgesetzt wird.“

Einige Interessenten sind unverrichteter Dinge wieder weggefahren, für sie war kein Motiv dabei. Eine größere Auswahl wäre wohl schön gewesen, räumt Museumspädagogin Ohmert ein, aber kaum zu leisten – schließlich habe sich die Tätowiererin vorbereiten müssen, Entwürfe erstellen, Skizzen anfertigen. Die hängen jetzt neben den Originalen.

Auf Birgits Oberarm, der gerade mit Folie und Pflaster versehen wird, prangt nun ein Baum aus einem Werk von Cahn. Anders als beim Original ist er in Farbe, damit er zur Rose passt, die Birgit dort schon hat. Ihr Bekannter Wilfried hat sich ebenfalls für das Baum-Motiv entschieden, die Ausführung haben sie schon im Vorfeld mit Thorne besprochen. Eine wichtige Basis, findet der 43-Jährige. Es gehe ja nicht zuletzt um Sympathie und Vertrauen: „Man trägt das für immer, da will man sich ja nicht von irgendjemandem stechen lassen.“

Dafür, dass sich die Aktion an eine junge Klientel richtet, liegt der Altersschnitt derjenigen, die sich an diesem Wochenende tatsächlich tätowieren lassen, erstaunlich hoch. In der Eingangshalle warten nur zwei Vertreter der ursprünglichen Zielgruppe, ob sie eventuell noch an die Reihe kommen: Die 21-jährige Ann-Marie möchte einen Vogel auf den Unterarm, Björn, 26, würde sich auch überreden lassen, „wenn sie es macht“. Er klingt ein wenig nervös.

Sie warten allerdings vergeblich: Die zehn Sitzungen, die Thorne bis Sonntagnachmittag schafft, sind fast alle nach Voranmeldung terminiert worden. Ein Marc’sches Fohlen hier, ein Cahn-Vogel dort. Die Emder Kunsthalle darf die Aktion wohl als Erfolg verbuchen – auch wenn am Ende vielleicht nicht unbedingt die jüngeren, tendenziell museumsfernen Leute gekommen sind. Ann-Marie hat ohnehin ihre Zweifel, ob man ihre Generation ins Museum locken kann: „Entweder man interessiert sich für so etwas“, sagt die 21-Jährige, „oder eben nicht.“MAIK NOLTE