berliner szenen: Späte Ehrung für den Boss
Der Kollege aus Thüringen ruft vom Hauptbahnhof aus an. Er sei jetzt da, ich müsse ihm helfen. Und das Schild habe er auch besorgt, das Bruce-Springsteen-Schild. Er möchte es heute noch irgendwo auf dem Gelände der Radrennbahn Weißensee anschrauben. „Hast du einen Akkubohrer?“, fragt er. „Nee, hab ich nicht.“
Springsteen spielte vor über 31 Jahren ein legendäres Konzert in Ostberlin vor ungefähr 100.000 Fans. Der Kollege war dabei – und ich auch, obwohl ich gar keine Karte hatte. Aber das war egal, irgendwann brachen die Dämme, und die Springsteen-Fans strömten unkontrolliert auf die Rennbahn, um ihn zu sehen.
Wir kannten uns damals noch nicht, also mein Kollege und ich, aber er scheint, im Gegensatz zu mir, heute noch die Gitarrenriffs von damals im Ohr zu haben, weswegen er seine lebendige Begeisterung über das Konzert in polierten Edelstahl hat hineinfräsen lassen: „Danke, Bruce Springsteen + E-Streetband, für das einzigartige Konzert hinter der Mauer, am 19. Juli 1988, hier in Berlin-Weißensee“, steht auf dem Teil.
Wir fahren zu Obi und leihen uns einen Bohrer aus. Der direkte Zugang zur Radrennbahn ist durch einen Zaun versperrt. Hier, an der Rennbahnstraße, wird wohl seit neuestem Frisbee-Golf auf zwölf Bahnen gespielt. Wir überlegen, über den Zaun zu klettern, gelangen dann aber seitlich auf die Brache. Der Kollege begutachtet eine Plastik im Stil des sozialistischen Realismus und reißt davor Unkraut aus. Ich suche einen guten Platz für das Schild. Wir bohren und merken zu spät, dass wir gar keinen passenden Schraubendreher dabei haben. Aber der Kollege gibt nicht auf. In der Nähe wird eine Schule gebaut, ein Arbeiter hilft mit einer Ratsche aus. Das Bild hängt. Wir spiegeln uns darin. Es ist, als glotzte uns der Boss an und wir ihn.
Markus Völker
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