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Die Sache mit der Authentizität

Was gute Performancegruppen eben tun: Kleiner Streifzug durch Tanz- und Theaterstücke auf dem Festival No Limits

Von Katrin Bettina Müller

Eigentlich geht das nicht, Behinderungen zu vergleichen. Und doch erwischt man sich dabei, auf dem Festival No Limits für „Disability & Performing Arts“. Was sich dabei einstellt, ist die Wahrnehmung, dass die Grenzen zwischen Behinderung und Nichtbehinderung fließend sind, weniger scharf als angenommen. Obwohl man das hätte wissen können, es ist immer das Verhältnis des sozialen Umfelds zum Individuum, dass an der Herstellung der Kategorie Behinderung beteiligt ist.

Mit zwei Tänzerinnen trat die britische Performerin Jo Bannon auf in einer gewitzten Choreografie, „We are fucked“, in der die Frauen mit Kabeltrommeln, Metermaß und Staubsauger körperliche Erregungszustände austesteten. Nie hätte man vorher gedacht, wie viel Lust, aber auch Unmut, Aggression und Entschiedenheit sich im Verhältnis mit diesen Alltagsgegenständen ausdrücken lässt. Dass Bannon mit ihren langen hellen Haaren an einer Pigmentstörung ja, was, „leidet“, scheint schon das falsche Wort, schien nichts zu bedeuten. Wenn aber einer der Tänzer der südafrikanischen Unmute dance Company am Ende von „Ashed“ seine Maske abnimmt und als Albino erkennbar ist, lässt sich eine andere Erfahrung von Ausgrenzung oder Ächtung vermuten.

In dem Tanzstück „Ashed“ spielte das allerdings keine Rolle. Die Unmute Dance Company, die heute noch einmal mit „Trapped“ zu erleben ist, ist die einzige auf allen Produktionsebene inklusiv arbeitende Tanzgruppe Südafrikas. In „Ashed“ begleitet eine Sängerin die drei Tanzenden, darunter eine Rollstuhlfahrerin, durch eine Landschaft voller Asche und Skulpturen lebloser Körper, die teils geborgen und geschützt werden, teils aber auch mit den Tänzern zusammen zu Bergen getürmt werden, die an Massaker erinnern, an Leichenberge. Babalwa Makwetus berührender Gesang klagt dazu über Hass in Afrika, die Zerstörung des Regenbogens. Es ist eine sehr symbolische Ausdrucksweise, die politische Konflikte in universelle Dramen übersetzt, in die Musik und Körpersprache hier einfließen.

Im Juni 2019 brachte die Performancegruppe Monster Truck „Marat/Sade“ am Schauspielhaus Bochum heraus mit Amateurdarstellerinnen aus einem Behindertenwohnheim, jetzt zeigten sie ihr Stück im Hebbeltheater. In einem Prolog wurden alle Darstellenden mit Übertiteln in einfacher Sprache vorgestellt, samt Bezeichnung ihrer Störung. Die Regisseurin Sahar Rahimi nannte sich dort Borderlinerin, eine Tänzerin mit früherer Bulemie war dabei, ein Schauspieler mit Burn-out. Andere waren sehbehindert oder Epileptiker und arbeiten in Behindertenwerkstätten.

Schon dieses Nebeneinander der durch Leistungsstress bedingten Defekte und der Behinderungen, die für viele Ausschlüsse aus einem selbstbestimmten Leben sorgen, war eine sanfte Provokation.

Die dramatische Vorlage „Marat“ von Peter Weiss stellt selbst schon viele Fragen danach, wer wen spielen darf und wer die Fäden in der Hand hält. Die Inszenierung von Monster Truck legte noch eine Schippe drauf, bewegte Darsteller wie Puppen, synchronisierten ihre Sätze mit anderen Sprechern, immer auch als Angriff auf das Theater gemeint, die Konstruktion von vermeintlicher Authentizität.

In Vielem erinnerte die Inszenierung an Jérôme Bels „Dis­abled theatre“ (2012), das allerdings mit Darstellern des professionellen inklusiven Theaters Hora aus Zürich entstanden war. Beide Stücke reflektieren die Einbeziehung behinderter Darsteller auch als eine Marke im Kulturbetrieb. Während bei Bel letztendlich mehr als der kritische Gedanke über die Instrumentalisierung der Darsteller wiegt, dass sie als Künstler eben ein Projekt gefunden haben, in das sie ihre Energie stecken, häuft Monster Truck in „Marat“ so viele kritische Diskurse aufeinander, dass die Laiendarsteller etwas untergehen in dem Gewusel. Fast jede der Produktionen, die ich bei No limits gesehen habe, warf andere Fragen auf, entwickelte eine eigene ästhetische Sprache, wie es gute Performancegruppen eben tun, ob mit oder ohne Behinderung. Ein interessantes Festival jedenfalls.

Noch bis 16. November, www.no-limits-festival.de

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