Auf der Suche nach der eigenen Existenz

Für Kunstschaffende gibt es ein großes Spektrum an Stipendien und Förderungen. Der Schritt in die großen Ausstellungshäuser fällt trotzdem schwer. Das Braunschweiger Dorothea-Erxleben-Programm will das ändern. Jetzt präsentieren sich die Stipendiat*innen

Inmitten von Zeitungsschnipseln sucht die Taiwanerin Rochu Chiu nach ihrer Identität Foto: Bettina Maria Brosowsky

Von Bettina Maria Brosowsky

Kunstschaffende haben es auch nicht leicht. Zwar gibt es in der Branche, wie wohl in kaum einer anderen akademischen Disziplin, ein großes Spektrum an Förderungen, Stipendien oder Residenzen in Künstlerhäusern. Und Kunstvereine sorgen sich gemäß ihrer Statuten um frühe Ausstellungsmöglichkeiten für den künstlerischen Nachwuchs. Auch Kunstuniversitäten stehen Absolvent*innen weit über das primäre Studium hinaus zur Seite – davon kann man sich derzeit im Umfeld der Hochschule für bildende Künste (HBK) in Braunschweig ein Bild machen.

In arrivierteren Sphären wird es dann aber eng: Den Einzug in große Ausstellungshäuser, die Sammlungen angesehener Kunstmuseen oder auch den Sprung auf eine Professur schaffen nicht viele. Verschärft gilt diese Situation für Künstlerinnen, selbst wenn der ausgeglichene Proporz unter Studienanfänger*innen und Absolvent*innen der Kunsthochschulen eigentlich eine angemessene Präsenz nahelegen müsste.

Diesem Missstand will seit 1994 das Dorothea-Erxleben-Programm zur Chancengleichheit begegnen, das die HBK Braunschweig zusammen mit dem Land Niedersachsen durchführt. Die Namenspatronin wirkte zwar nicht künstlerisch, ist aber als erste approbierte Ärztin im 18. Jahrhundert eine akademische Pionierin in Deutschland.

Professur als Ziel

Nach einigen Modifikationen wird nun seit 2007 konstant ein zweijähriges Stipendium an jeweils drei junge Künstlerinnen mit abgeschlossenem Studium vergeben. Sie bewerben sich mit einem Projektvorschlag, der einen wesentlichen Beitrag zur Weiterentwicklung künstlerischer Formen und Ausdrucksmittel erwarten lässt. Zudem verpflichten sie sich, einen Lehrauftrag zu übernehmen und zum Abschluss des Stipendiums ihr künstlerisch Erarbeitetes in adäquater Form zu präsentieren. Ziel ist die Qualifizierung für eine Professur.

Von 24 Geförderten, die zwischen 2001 bis 2019 das Programm durchlaufen haben, sind mittlerweile fünf Professorinnen, ein weiterer Ruf ist gerade erfolgt. Diese Zahlen zeigen: Die Erfolgsquote des Programms liegt also bei 25 Prozent, wie die Pressestelle der HBK auf Nachfrage mitteilte.

Fotos als Diener

Gerade sind drei Künstlerinnen mit den Schwerpunkten Performance, Malerei und Klangkunst ins Programm für 2019 bis 2021 gestartet, während die Absolventinnen Maria Anwander, Natalie Czech und Frauke Dannert des Durchlaufs 2017 bis 2019 ihrer Arbeiten mit einer Abschluss­ausstellung in der Hochschulgalerie vorstellen.

Spiel mit den Medien: Frauke Dannerts Papiercollagen „Splitter“ und „Pagode“ Fotos: Courtesy Galerie Rupert Pfab, Düsseldorf; Ben Hermanni, Lemgo © Frauke Dannert

Konzeptionell streng sprengt die in Berlin lebende Österreicherin Maria Anwander die Grenzen der klassischen Bildhauerei: Schüttkegel aus primärfarbigem Granulat stehen für noch im 3-D-Drucker zu erstellende, imaginative Werke. Natalie Czech, im Norden in guter Erinnerung etwa durch ihre frühe Einzelausstellung 2011 im Kunstverein Langenhagen, verschränkt Bild und Text zu visuellen Gedichten.

Czech zeigt nun drei großformatige Fotografien von Zigarettenstummeln. Einerseits Referenz an Irvin Penns altmeisterliche Schwarz-Weiß-Abzüge seiner Serie „Cigarettes“, zielen Czechs Farbbilder jedoch andererseits auf die historischen Markennamen der Kippen, die assoziationsreiche Wortreihen bilden. Frauke Dannert steuert eine Wandmalerei bei, die botanisches wie architektonisches Formenvokabular reflektiert.

Diese Malerei schlägt dann den Bogen zu Dannerts Ausstellung im Braunschweiger Museum für Photographie. Denn hier findet sich das Motiv mit inverser Farbigkeit wieder: als Einband einer ausgelegten, 2016 erschienenen Monografie.

Auch die 1979 im Nordrhein-Westfälischen geborene Dannert liebt das Spiel mit den Medien, unter denen die klassische Fotografie mitunter nur eine dienende Rolle spielt. So nutzt sie etwa für Collagen fotografisches Material, teils im Fotokopierer dupliziert, das dem Bildursprung entsprechend arrangiert wird: Vegetabil Anmutendes ist dann aus Blattformationen kombiniert, Konstruktivistisches etwa aus Bau­fragmenten.

In einer beeindruckenden Rauminszenierung hat Dannert nun einige ihrer Collagen mit einer Wandmalerei sowie einer Teppichbodenintarsie zum Totalobjekt in Schwarz, Weiß und Grau verschmolzen. Derweil versetzt eine aktuelle filmische Arbeit im zweiten Raum die bekannten Formen in Bewegung.

Lockeres Kaleidoskop

Frauke Dannert ist die einzige der drei Stipendiatinnen, die ihre Studierenden künstlerisch partizipieren lässt. Im zweiten Torhaus des Museums für Photographie dürfen jeweils drei angehende Künstler*innen im Zehn-Tage-Rhythmus eigene Arbeiten präsentieren. Und da ging es zumindest beim ersten Trio erfrischend bunt und spontan zu: mit einer gestischen Wandmalerei etwa oder Science-Fiction-Figuren, die mittels antiquierter Overhead-Projektoren eine Plastikarchitektur bevölkerten.

In der Montagehalle der HBK stellen außerdem Stipendiat*innen des Residenzprogramms Braunschweig Projects aus, ebenfalls vom Land Niedersachsen gefördert. Seit 2011 erhalten jeweils acht Künstler*innen der Klangkunst und der bildenden Kunst, die projektbezogen mit Mentoren der Kunsthochschule arbeiten möchten, ein Wohnatelier sowie einen Zuschuss.

Frei nach dem Motto des chilenischen Schriftstellers Roberto Bolaño „Every hundred feet the world changes“ versammelt sich nun ein lockeres Kaleidoskop künstlerischer Aktivitäten in der ehemaligen Gewerbearchitektur. Sie reichen von einer üppig mit ausrangierten Gegenständen und farbigen Flüssigkeitsströmen bestückten Installation, die der in Kanada lebende Israeli Adam Basanta als post-apokalyptisches Szenario verstanden wissen will, bis zu einer mysteriöse menschliche Äußerungen emittierenden Wohnlandschaft.

Sie stammt von der in Paris ansässigen Libanesin Kinda Hassan, die Phänomenen der Sprache, konkret auch ihrer internationalen Studienkolleg*innen, zu virtueller Interaktion verhelfen möchte. Weiter geht es mit riesigen, pflanzengefärbten Stoffbahnen der Inderin Nidhi Khurana, die Dimensionen des Raumes ausloten, oder der Assemblage von Rochu Chiu.

Die Taiwanerin beschäftigen politische Werte und ihre Symbolträger, so in Gestalt der unübersehbar aufgemalten Gelbwesten in ihrer Wandcollage aus Zeitungsausrissen. In ihr versucht die Künstlerin mittels Videoperformance ihre eigene Existenz zu finden. Als akustisch strukturierendes Gerüst schwebt eine reduzierte Vier-Kanal-Klangkomposition des US-Amerikaners Jeremy Wiles-Young im Raum, die auf digitale Bibliotheken und stündliches Update setzt. Alles, so scheint’s, will im Fluss bleiben.

Dorothea-Erxleben-Programm, Abschlussausstellung: bis 15. 11, Braunschweig, HBK-Galerie

Frauke Dannert und Multiple Exposure, bis 1. 12, Braunschweig, Museum für Photographie

Every hundred feet the world changes, bis 14. 11, Braunschweig, Montagehalle