Bernhard Pötter
Wir retten die Welt
: Auf Wiedersehen in Gurugram

So sieht das also aus, wenn das Klima uns diktiert, was wir tun und lassen dürfen: Meine Tochter muss jetzt zu Weihnachten allein ihre ehemaligen Gasteltern in Chile besuchen. Die Regierung dort hat den für Dezember geplanten UN-Klimagipfel abgesagt. Das entlastet mein CO2-Konto ganz gewaltig, ist aber sonst nicht ganz so lustig. Ich storniere meinen Flug und hoffe auf eine kulante Airline. Und ich streiche den geplanten angehängten Urlaub. Pech gehabt.

Wohin aber nun mit dem jährlichen Klassentreffen der Klimagemeinde? Im Gespräch sind Städte wie New York, Genf oder Nairobi, aber auch Bonn. Aber entschuldige mal, Beethoven-City, da-da-da-daas geht gar nicht! Und eigentlich auch nicht die anderen Orte, die da jetzt auf dem Zettel stehen. Denn die Verlegung ist doch eine große Chance! Mal aus den sterilen Konferenz-UFOs herauszukommen, in denen sonst in gewohnter Bräsigkeit Verhandlungen simuliert werden – so langsam, dass sich inzwischen die Gletscher schneller bewegen als die Positionen der Teilnehmer. Also andere Orte. Freiwillige vor!

Ich plädiere für Gurugram in Indien. Kennen Sie nicht? Glück gehabt: Das war 2018 die Stadt mit der schlimmsten Luft der Welt. Da müsste niemand seine Verhandlungspartner auf der anderen Seite des Tisches sehen, so dicht ist der Smog. Und die Delegierten können sich gegenseitig mal schnell was husten. Oder wir ziehen nach Los Angeles. Hitzige Debatten und feurige Reden sind dort mitten in Waldbränden und Föhnwinden garantiert. Da fühlt man den Klimawandel direkt auf der Haut, mit freundlichen Grüßen von Exxon und Konsorten.

Auf der anderen Seite der Erde wären auch Shenzhen oder Dongguan im Perlflussdelta gute Kandidaten. Hier könnten wir zusehen, wie ein großer Teil der Wertschöpfung Chinas im Meer absäuft, während die chinesische Kohlekraft im Hintergrund kräftig daran mitwirkt. Oder wir halten die Klimakonferenz im Dezember auf den Philippinen ab, wo uns der nächste regelmäßige Monster-Taifun aus der Halle weht. Stürmische Abstimmungen der wichtigen Papiere sind nicht ausgeschlossen.

Wir könnten auch einfach alle mit einem Touristenvisum nach Brasilien einreisen und uns irgendwo am Lagerfeuer im Regenwald treffen. Platz genug ist da ja jetzt. Oder wir besichtigen die Folgen unseres Nichthandelns für Hunger, Dürre und Konflikte am täglichen Beispiel in Somalia. Zumindest gibt es da schon jede Menge UN-Personal. Und wenn gar nichts mehr geht: Auf Grönland können wir uns alle einigen. Jetzt im Winter würden unsere Notbehelfs-Iglus auch nicht mehr schmelzen.

Welche Krisengebiete kommen noch in Frage? Venedig? Atlantis? Tschernobyl? Chemnitz? Nein, halt, da kommt der Vorschlag, der alle glücklich macht: Miami, Florida. Die Umweltschützer können sehr anschaulich vor den Klimagefahren warnen, wenn der Hurrikan „Donald“ die Tische so weit wie noch nie über die Terrasse fliegen lässt und der steigende Meeresspiegel an den Füßen zerrt. Und das Weiße Haus ist auch begeistert: Die Konferenz legen wir ins National Doral Hotel, dessen Eigentümer praktischerweise US-Präsident ist. Den G7-Gipfel durfte er da nicht abhalten, weil er persönlich damit Geld verdient hätte. Beim Klima sind wir da nicht dogmatisch. Und für einen guten Deal mit ein paar sicheren Millio­nen würde Trump sogar vergessen, dass der Klimawandel eine Erfindung der Chinesen ist.