Was ist los, wenn Menschen nicht nur aus weiten Teilen Deutschlands, sondern auch aus Finnland, den USA, Großbritannien oder gar aus Marokko für drei Tage auf eine Galopprennbahn in Mecklenburg-Vorpommern kommen? Und das seit Jahren?

Das schlechte Wetter wird es wohl nicht gewesen sein. Nein, es war der Geist. Nicht irgendein Geist, es war der Geist Frank Zappas. Der ist zwar seit dem 4. Dezember 1993 nicht mehr unter uns. Doch wie es scheint, hat der eigenwillige, kettenrauchende, musikalisch autoritäre, geniale, avantgardistische, einzigartige Musiker, Komponist und Bürgerschreck nicht viel von seiner Anziehungskraft verloren.

7.000 bis 8.000 Besucher, das kann sich sehen lassen für ein Open-Air-Festival in der norddeutschen Provinz, das sich weitgehend den Kompositionen eines einzigen Musikers verschrieben hat. Franz Zappas Musik lebt, und das Publikum bei der 16. Zappanale in Bad Doberan bestand nicht nur aus wollbesockten, langhaarigen Freaks kurz vor dem Rentenalter. Im Gegenteil, der große Anteil an jungen Leuten, die bei Zappas Heimgang noch nicht einmal Pubertätspickel hatten, war auf dem Festival-Gelände auffällig. Und auf der Bühne erst recht. Die „Paul Green School of Rock“, eine etwa 30-köpfige Gruppe aus Philadelphia, bestand hauptsächlich aus Musiker/innen, die noch reichlich Zeit haben, bis sie volljährig werden. Und sie waren gut.

Zappas Kompositionen verströmten einen eigenartigen Duft über dem Festivalgelände. Damit sind weniger rauchende Joints gemeint, als das Fluidum einer musikalischen Solidarität, die Publikum, Bühnenkünstler und Organisatoren wie eine lose Klammer zusammenhielt. Wenn die renommierte und fabelhafte „NDR Radio Big Band“, die auf eigenen und ausdrücklichen Wunsch bei der Zappanale auftrat, kurz nach der halbnackten Bühnenshow eines zappaverrückten Trios und vor den ultimativen Cover-Königen „Bogus Pomp“ aus Florida ihr wunderbares Set spielt, dann wird klar: Der umspannende Gedanke einer (Vor-)liebe für Frank Zappas Wirken hat nichts Sektenhaftes. 180 Künstler frönten ihm, und die Menschen vor und hinter der Bühne taten es auch.

Dass nicht alles möglich ist, was wünschenswert wäre, liegt zum einen am Geld. Mit lächerlichen 20.000 Euro plus Reisekosten ist die „Zappanale“ für ein qualitativ gutes Festival sehr kostengünstig. Da kann nicht jedes ehemalige Bandmitglied Zappas eingekauft werden, einige dieser Musiker waren und sind zu etabliert und damit zu teuer. Andere dürfen nicht kommen, weil die Witwe Frank Zappas, Gail, mit ihrem „Zappa-Trust“ Verwertungsrechte besitzt und diese auch konsequent einsetzt. Ihr eigenes Tournee-Programm übrigens, mit dem in diesem Herbst unter anderem ihre Söhne Deutschland bereisen sollten, wurde schleunigst abgesetzt. Abzocke und Abkochen ist unter Zappa-Fans verpönt, diese Show wollte niemand sehen.

Zwei alte Kumpel des Meisters, Napoleon Murphy Brock und Ike Willis, beide um die 50 und devote Bewahrer der Tradition von Zappas Kompositionen, kommen gern nach Mecklenburg. Der eine, Brock, immer noch ein begnadeter Sänger, hält sich und sein künstlerisches Vermögen etwas abgehoben für ein Geschenk Gottes, so seine eigene Aussage. Der andere, Willis, hatte seinem engen Freund Zappa quasi auf dem Totenbett versprochen, dessen Oeuvre weiterzuführen und für eine größtmögliche Authentizität zu sorgen.

Beiden ist nicht nur ein gar nicht un-stargemäßes Auftreten gemein, sie sind wirklich sehr freundlich und zugänglich, ihre Freude an den „ollen Kamellen“ ist ehrlich. Der Ruhm früherer Tage bedeutet ihnen, im Gegensatz zu anderen Ex-Bandmitgliedern, offensichtlich nicht besonders viel. Jede Menge Geld machen sie allerdings auch nicht.

Die Zeichen stehen gut, dass Bad Doberan eine 17. „Zappanale“ erleben wird. Und an neuen, frischen Bands fehlt es auch nicht. 70 Bewerbungen aus aller Welt (und die reicht in diesem Fall bis Indonesien) liegen dem Veranstalter vor. Zappa ist tot, das stimmt. Aber riechen, nein, das tut er nicht.

Jürgen Francke