: Furios gestartet, dann abgedreht
Evo Morales ist 2006 großartig gestartet und hat viel verändert. Doch dann stieg ihm die Macht zu Kopf
Von Knut Henkel
Der Auftakt war gigantisch, erinnert sich Marco Gandarillas. „Die ersten drei, vier Jahre war die Regierung von Evo Morales partizipativ, hat die neue Verfassung auf den Weg gebracht, erfolgreich gegen die Abspaltungstendenzen der Rechten in Santa Cruz agiert und eine Sozialpolitik auf den Weg gebracht, die für Bolivien etwas vollkommen Neues bedeutete. Der Staat zeigte sich erstmals verantwortlich“, sagt der Soziologe aus Cochabamba.
Letzteres hatte es vor und nach der Unabhängigkeit Boliviens schlicht noch nie gegeben. Nun wartete eine linke Regierung mit einem System von bonos auf: Bono Juancito Pinto, Bono Juana Azurduy (BJA) und Renta Dignidad (RD) heißen die drei wichtigsten. Sie haben den Zugang zur Bildung, die Versorgung junger, stillender Mütter und die der Senioren in Bolivien spürbar verbessert. Das konnte sich die Regierung auch leisten, denn sie hatte sich zügig nach ihrer Vereidigung am 22. Januar 2006 darangemacht, ihre Wahlkampfversprechen auch einzulösen. Dazu gehörte, den Erdöl- und Erdgassektor wieder unter staatliche Regie zu stellen. Und der erste indigene Präsident Boliviens hatte keine Scheu, den internationalen Erdöl- und Erdgasunternehmen die Konditionen zu nennen, unter denen sie auch weiterhin im Land fördern könnten. Statt zuvor zwanzig Prozent blieben fortan achtzig Prozent der Gewinne aus dem Erdgasverkauf im Land – ein Erfolg, der dafür sorgte, dass die Regierung Morales auch die Mittel hatte, um zu investieren.
Erfolge, die die Popularität des ehemaligen Gewerkschaftsführers der cocaleros, der Kokabauern aus dem Chapare, in den Himmel schießen ließen. Nicht nur in Bolivien, sondern auch außerhalb des Landes. Im Oktober 2009 wurde Morales zum „World Hero of Mother Earth“ der UN-Generalversammlung gekürt, weil er sich öffentlich für die Pachamama, die Mutter Erde, engagiert und für mehr Umweltschutz geworben hatte.
„Doch dann kamen die Wahlen im Oktober 2009, und da hat es bei ihm Klick gemacht. Die Zweidrittelmehrheit hat ihm den Kopf verdreht“, argumentiert Gandarillas und ist damit nicht allein. Auch ehemalige Mitstreiter wie Rafael Puente, Vize-Innenminister im ersten Kabinett, attestieren Morales fortan einen Hang zur Machtpolitik und zur Schwarz-Weiß-Malerei. Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns, scheint das Motto zu lauten, welches Vizepräsident Álvaro García Linera auch immer mal wieder ausgesprochen hat.
Im politischen Alltag hat das dafür gesorgt, dass politische Gegner an die Wand gedrückt, indigene Basisbewegungen, die sich gegen Infrastrukturprojekte wie die Straße durch das Schutzgebiet TIPNIS wehrten, kriminalisiert wurden. Eine Zäsur in Boliviens jüngerer Geschichte, die dem Mann im alten Regierungssitz an der Plaza Murillo Sympathien gekostet haben.Zu den Kritikern gehört auch der ehemalige UN-Botschafter Pablo Solón, einst befreundet mit Evo Morales. Er spricht der Regierung ab sich um Konzepte wie das „Buen Vivir“, das harmonische Leben im Einklang mit der Natur, wirklich zu scheren. „Evo verfolgt eine konventionelle Wirtschaftspolitik mit enormen ökologischen und finanziellen Risiken. Dazu gehört auch der Flirt mit der Atomenergie.“
Davon zeugt ein eigenes Atomforschungszentrum und die Pläne für ein Atomkraftwerk in El Alto – dank russischer Kooperation. Riskante und wenig reflektierte Ideen, die den einst so populären Evo Morales vor allem bei der Jugend viel Ansehen haben verlieren lassen. Dazu kam dann die Entscheidung, das Wählervotum vom 21. Februar 2016 nicht zu akzeptieren – da hatten sich 51,5 Prozent gegen eine potentielle Wiederwahl Morales ausgesprochen. Er kandidierte jetzt trotzdem.
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