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Heimkehr mit Afghanistan

Katja Adomeit zeigte auf den Nordischen Filmtagen in ihrer Heimatstadt Lübeck den von ihr produzierten Film „Das Waisenhaus“ der afghanischen Regisseurin Shahrbanoo Sadat

Wichtige Karrierestation: ein afghanisches Waisenheim in den 1980ern, gefüllt mit schleswig-holsteinischen Statisten Foto: Verleih

Von Wilfried Hippen

Es wirkt wie die Erfüllung einer Wunschfantasie: Als junges Mädchen hat Katja Adomeit ihre Geburtsstadt Lübeck verlassen, um woanders Karriere zu machen, jetzt zeigt sie ihrer Familie bei den Nordischen Filmtagen in Lübeck ein von ihr produziertes Werk, das zuvor schon auf dem Filmfestival in Cannes lief. Ganz großes Kino also. Eine ganze Sitzreihe war da am Samstagnachmittag im CineStar mit der Verwandtschaft gefüllt. Gezeigt wurde „Das Waisenhaus“ von der afghanischen Regisseurin Shahrbanoo Sadat.

Auf Wunsch von Katja Adomeit und anders als auf dem sehr kosmopolitischen Festival üblich, lief er dieses eine Mal nicht mit englischen, sondern mit deutschen Untertiteln, damit ein über 90-jähriger Freund der Familie ihn auch verstehen konnte.

Tatsächlich hat Katja Adomeit mit heute 38 Jahren eine erstaunliche Karriere gemacht. Diese begann mit dem ersten Schritt als 19-Jährige nach Hamburg, wo sie Medienwissenschaften studierte. Anschließend ging sie für ein Jahr nach Neuseeland, wo sie ihre ersten Filme produzierte. Allerdings nicht als Filmbegeisterte. Sie sei „da so reingerutscht“, sagt sie selber.

Zurück in Deutschland bekam sie in Berlin einen Job als Produktionsassistentin bei einer Fernsehserie. Doch dann packte sie das „Fernweh“. Adomeit bewarb sich bei Filmproduktionsfirmen überall auf der Welt. Geantwortet hat nur die von Lars von Trier gegründete Firma „Zentropa“ in Kopenhagen. Dort wurde ihr ein Job angeboten – unter der Bedingung, dass sie gut dänisch sprechen müsse. In drei Monaten lernte sie die Sprache und wurde schließlich als Assistentin angestellt. Seitdem hat sie in Dänemark 20 Filme produziert. Der neuste, „Harz“ von Daniel Borgman, lief ebenfalls auf den diesjährigen Nordischen Filmtagen.

Als selbstständige Produzentin war Katja Adomeit zuerst für ein paar Kurzfilme verantwortlich, die auch gleich auf den Filmfestspielen in Cannes gezeigt wurden. Zu Cannes hat sie seither ein ganz besonderes Verhältnis. Im Jahr 2017 gehörte sie als Koproduzentin zum Team um Regisseur Ruben Östlund, das mit der Satire über den Kunstbetrieb „The Square“ in Cannes die Goldene Palme als „bester Film“ gewonnen hat. Und schon im Jahr 2016 lief der von ihr produzierte Film „Wolf and Sheep“ bei der „Quinzaine des réalisateurs“ und erhielt den „Art Cinema Award“.

Mit diesem Film begann die Zusammenarbeit mit der Regisseurin Shahrbanoo Sadat, die darin Tagebuchaufzeichnungen ihres Regieassistenten Anwar Hashimi adaptierte. Die beiden Frauen planen, insgesamt fünf Filme zu drehen, die auf diesen Lebenserinnerungen basieren. In „Wolf and Sheep“ wurde von der Kindheit des Protagonisten Qodrat als Hirte in einer abgelegenen Region Afghanistan erzählt.

Der zweite Film der Pentalogie, „Das Waisenhaus“, lief in Cannes in der Nebenreihe „Director’s Fortnight“. Hier ist Qodrat als 15-Jähriger in Kabul gelandet, wo er auf dem Schwarzmarkt Kinokarten verkauft. Der Junge wird aufgegriffen und in ein Waisenhaus gesteckt. Wie das ganze Land war dieses 1989 noch unter sowjetischer Verwaltung. Im Laufe des Films erlebt Qodrat, wie die Mudscha­heddin die Russen verjagen und eine muslimische Herrschaft in Afghanistan errichten.

Ein in den Sprachen Dari, Urdu und Russisch gedrehter Film über einen Jugendlichen, der in den späten 1980er-Jahren in Afghanistan aufwächst, ist ein dickes Brett für eine Produzentin

Ein in den Sprachen Dari, Urdu und Russisch gedrehter Film über einen Jugendlichen, der in den späten 1980er-Jahren in Afghanistan aufwächst, ist ein dickes Brett für eine Produzentin. Schon die Finanzierung war hochkompliziert: Adomeit sammelte Geld in Dänemark, Luxemburg, Frankreich und Deutschland. Die Unterstützung durch die Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein konnte nur gewährt werden, weil Katja Adomeit eine eigene Produktionsfirma in Lübeck betreibt – auch dies ist also eine, wenn auch eher pragmatische, Art des Heimkommens.

Wer in einem deutschen Bundesland gefördert wird, muss das Geld auch dort wieder ausgeben, und so kam es zu der seltsamen Situation, dass Teile des gänzlich in Afghanistan spielenden Films in Osterlüchten, Schleswig-Holstein, gedreht wurden. Ein dortiges Ferien­lager wurde in ein russisches Sommerlager umgebaut, in das im Film die Waisenkinder als Zeichen der russisch-afghanischen Freundschaft verschickt wurden. Da wurden dann einige Schulklassen mit norddeutschen Kindern als Statisten in Kostüme gesteckt und sie können sich selber nun im Film als junge Russen und Russinnen bewundern. Nachdem die Dreharbeiten in Deutschland beendet waren, schlichen sich die drei jugendlichen afghanischen Hauptdarsteller nachts aus ihren Unterkünften und beantragten in Deutschland Asyl. Und dort leben sie auch heute noch.

Für Adomeit war dies nur eine von den vielen Schwierigkeiten, die die Produktion begleiteten. Da Arbeiten an einem Spielfilm in Afghanistan zu diesen Zeiten unmöglich sind, wurde „Das Waisenhaus“ zum größten Teil in Tadschikistan gedreht, und dort hatten die beiden Frauen dann ausgerechnet mit dem europäischen Filmteam Probleme. Weil sie vor allem mit Kinderdarstellern und Nichtschauspielern arbeitete, hatte Shahrbanoo Sadat einen speziellen Regiestil entwickelt: Sie ließ ihre Darsteller nicht ihre Texte lernen, sondern in­struierte sie stattdessen kurz vor dem Dreh und auch während die Kamera lief, darüber, was sie wie zu sagen hatten. Gegen diese Arbeitsweise rebellierten die europäischen, zumeist männlichen Filmhandwerker. Katja Adomeit spricht von erhitzten Diskussionen im Stile von „seit 100 Jahren werden Filme so gemacht und jetzt kommt ihr…!“ und „gezeigten Fingern“. Aber dem fertigen Film merkt man diese Spannungen nicht an.

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