Kommentar von Stefan Reinecke zur Bilanz der Großen Koalition
: Die Mitte ist müde

In der Halbzeitbilanz der Regierung steht: ,„Wir haben viel erreicht und umgesetzt.“ Das hat etwas unfreiwillig Komisches: Die MinisterInnen bescheinigen sich selbst, prima Arbeit geleistet zu haben. Das ist so, als würden sich ein Konzern oder eine Universität selbst evaluieren und danach kräftig auf die Schulter klopfen.

Die Halbzeitbilanz hatte die SPD in den Koalitionsvertrag geschrieben. Es ist ein Placebo, das ein ungutes Gefühl in der Magengegend vertreiben soll: Die SPD bleibt automatisch bis zum Ende in der Regierung. Und danach ist alles schlimmer denn je.

Die Große Koalition funktioniert, zum Teil, so wie immer. Die SPD-MinisterInnen setzen fleißig einiges durch, leider ist das Publikum – auch das ist wie immer – an den SPD-Erfolgen herzlich desinteressiert. Die Regierung liefert mehr (Franziska Giffey und Hubertus Heil) oder weniger (Andi Scheuer) gutes Handwerk ab. Aber ihr fehlen das überwölbende Dach und der gemeinsame Geist. Auch deshalb ist die Mängelliste sehr lang. Sie reicht vom verzagten Klimapaket über den Stillstand in der Agrarpolitik bis zu der diffusen Europapolitik und der gesichtslosen Außenpolitik. Die Regierung ist im Kleinen akzeptabel, im Großen unklar.

Selbst wenn die Koalition die beiden Parteitage von CDU und SPD übersteht – sie ist ein Auslaufmodell. Wenn sie jetzt nicht endet, wird das in knapp zwei Jahren der Fall sein. Die beiden Volksparteien ruinieren sich gegenseitig. Sie sind sich ähnlich geworden bis zur Ununterscheidbarkeit. Deshalb sucht man nun hektisch nach Identitätsmarkern, die Differenzen betonen. So wird die Grundrente (Volumen weniger als 2 Mil­liarden Euro) zum alles entscheidenden Symbol stilisiert. Früher hätte Angela Merkel all das am Ende irgendwie sanft gelöst. Die SPD hätte die Grundrente bekommen. Genau so hat ja die Sozialdemokratisierung der CDU funktioniert. Die Medien hätten Weitsicht und Pragmatismus der Kanzlerin und CDU-Chefin gelobt. Doch Merkel ist Kanzlerin auf Abruf. Wer die Union führen wird, weiß niemand. Und manchen dämmert, dass Pragmatismus auch eine Ideologie sein kann.

Mag sein, dass die Regierung diese Krise noch mal überlebt. Doch auch wenn es bei der Grundrente am Ende einen notdürftigen Kompromiss gibt, Olaf Scholz SPD-Chef wird und Annegret Kramp-Karrenbauer CDU-Chefin bleibt – die Mitte ist müde. Die Regierung verbinden nur noch Routine und Angst vor Neuwahlen. Ein rasches Ende wäre besser als langes Siechtum.