Die Fleisch gewordene Phrase

Frankfurter Plagen: Frank Lehmann – Herr des Börsen- und Allgemeinplatzes

Deutschland vor der „Tagesschau“, 19.58 Uhr, „Börse im Ersten“. Es tritt auf: der Mensch gewordene Glückskeks Frank Lehmann, der „Millionen Fernsehzuschauern die Börse und das Leben erklärt“ (Chrismon), indem er „Sinnsprüche“ mit dem Informationsgehalt eines Sparkassen-Kalenderspruchs absondert: „Hin und Her macht Taschen leer“, „Wer kauft in Eil, bereut in Weil“, „Haste was, biste was“.

Bei der ARD nennt sich das: „Analyse“, bei so genannten Wirtschaftsredakteuren: „fulminantes Hintergrundwissen“ (Financial Times). Der „Börsenbabbeler“ hat sich in fünf Jahren „Börse im Ersten“ zum Oberlehrer der Aktienförderschüler aufgeschwungen: Zielgruppe sind die „Drei- bis 103-Jährigen, ist doch egal, Hauptsache, ihr guckt!“.

Allabendlich rührt er seine „Zwei-Minuten-Terrine“ an, die sich „nicht nur Vorstände gerne“ reinziehen, sondern „auch deren Frauen, wie mir schon erzählt wurde“, verkündet er stolz. Sagste was, biste was. Das ist Wirtschaftsfernsehen für die Esser der Nation, aufgewärmt von Frank Lehmann, dem Fleischersohn, der volkstümelnden Presswurst im Nadelstreifen-Saitling: „Worscht, das ist immer noch mein Liebstes. Rinderwahnsinn gab es für mich nie. Ich hab voll durchgegessen“ (Die Zeit).

Das hat sich bewährt: Aus dem bis zur Volksnähe zerfressenen Hirn schmaddert, von keiner Hemmschwelle gehindert, eine Binsenweisheit nach der anderen. Für einen Verbalmetzger wie ihn eine echte „win-win-situation“, die im öffentlich-rechtlichen Fernsehen längst noch andere Karrieren hervorgebracht hat, deren gemeinsamer Nenner der Allerweltsname ist: Lehmann, Beckmann, Kachelmann. Laberware von der Stange.

Aber Frank Lehmann hat selbstverständlich eine Mission: „Die Deutschen sind Finanz-Analphabeten. Obwohl mittlerweile Geldsachen so wichtig geworden sind.“ Was liegt da näher, als das Börsenparkett zum Stammtisch aufzumöbeln und als „Rambo der Gerechtigkeit“, wie Lehmann sich selbst mal nannte, Schrebergärtnern einen Weg durch den „Dschungel des Aktienmarkts“ zu bahnen: „In der Ruhe liegt die Kraft, liebe Kleinanleger! Nehmen Sie ruhig auch mal Aktien, die vielleicht nicht sexy sind, die aber ins Depot gehören. Ein bisschen Risiko muss natürlich auch dabei sein. No risk, no fun.“

Frank „Ich bin einer von euch“ Lehmann hat die neoliberale Moral gepachtet: „An der Börse gibt’s nicht eindeutig Täter und Opfer.“ Er, der als Kind schon bei der Schlachtung zusah, weiß allzu gut, „nur die dümmsten Kälber wählen ihren Metzger selber“ und profitiert vom Wahrheitsgehalt der eigenen Phrase: Der „Leiter der gesamten Börsenabteilung der ARD“ legt selbst lieber „nur Spielgeld“ an, „kein Geld, das für die Waschmaschine oder das neue Auto vorgesehen war“. Haste nix, biste nix. Dazu jubelt die Welt: „Der populäre ARD-Wirtschaftsjournalist will dem künftigen Anleger Mut machen, die selbst verschuldete Unmündigkeit zu verlassen und Geld als Mittel der Freiheit zu erwerben. Lehmann zeigt mit viel Sachverstand und Humor die Finanzprodukte im Überblick.“

Frank Lehmann, Befreier aus Not und geistiger Armut! Und so wird der größte Finanzanalphabet aller Zeiten auch demnächst die „Börse im Ersten“ wieder mit einem „Scherz“ beenden: „Reichtum ist das höchste Gut, Armut ist die größte Plage.“ Was nur bewiese: Auch Goethe konnte irren – es gibt noch eine größere.

TANJA KOKOSKA