piwik no script img

american pieGrüße aus Balconien

Das US-Leichtathletik-Team verkauft sich als „New Generation“. Doch gewisse Zweifel sind geblieben

Zunächst einmal erschrickt man, was damit zu tun haben könnte, dass Lauryn Williams ein bisschen aussieht wie Marion Jones, oder doch zumindest so, dass sie die kleinere Schwester von Marion Jones sein könnte. Das ist nun wirklich nicht als Kompliment gedacht, weil Frau Jones in der Vergangenheit nicht nur in dem zweifelhaften Ruf stand, eine Sprintdiva zu sein – um nicht sagen zu müssen: eine arrogante Renn-Zicke –, sondern zudem auch noch eine Betrügerin.

Misses und Mister Jones, wie der ehemalige 100-Meter-Weltrekordler Tim Montgomery und aktueller Lebensgefährte hier der Einfachheit halber genannt sei, standen jedenfalls im Zentrum der Dopingaffäre um die in Kalifornien ansässige Firma Balco, der Bay Area Laboratory Co-Operative in Burlingame. Die hat bekanntermaßen die Designerdroge THG hergestellt und an dopingwillige Athleten verteilt, das Ausmaß des Skandals war gleich so groß, dass er bis heute die ganze US-amerikanische Leichtathletik überschattet – und also auch irgendwie Lauryn Williams. Aber nicht nur der olympische Sport war betroffen. Auch Baseball und American Football gerieten in die Schlagzeilen.

Die erst 21-jährige US-Amerikanerin lief am späten Montagabend die 100 Meter in 10,93 Sekunden und wurde mit dieser Zeit Weltmeisterin vor der Jamaikanerin Veronica Campbell (10,95 Sekunden) sowie der als Favoritin ins Rennen gestarteten Französin Christine Arron (10,98). Und sie weiß um das Problem, das der Titel mit sich bringt. Schon bei den Olympischen Spielen im Vorjahr in Athen, bei denen sie Zweite geworden war hinter der höchst verdächtigen Bulgarin Yuliya Nesterenko, musste sich Williams zum üblen Thema äußern und sagte: „Ich wurde oft nach dem Dopingskandal befragt. Aber ich bin kein Teil davon.“ Auch bei der WM in Helsinki kam sie um ein Statement natürlich nicht herum. Diesmal ließ sie wissen: „Auch wenn ich nicht diejenige bin, die dem Ansehen des Sports geschadet hat, so kann ich doch die sein, die versucht, es umzudrehen.“ Aber kann und will sie das wirklich?

In der Tat konstatieren muss man, dass Lauryn Williams bisher durch nichts, aber auch rein gar nichts auffällig geworden ist – außer dem Umstand, dass sie verdammt schnell laufen kann und aus den USA stammt, also aus Balco-Land, Balconien sozusagen. Vielleicht ist die 21-Jährige, die aus Pittsburgh kommt und an der Universität bei Amy Deem trainiert, ja tatsächlich ein Teil dieser „New Generation“, von denen in der amerikanischen Leichtathletik allenthalben die Rede ist. Insgesamt 131 Sportler haben die USA nach Finnland geschickt, fast 50 Prozent von ihnen sind jünger als 25. Aber sind sie deshalb auch sauberer?

„Das Team ist noch besser als bei den Olympischen Spielen 2004“, sagt der amerikanische Männer-Chefcoach John Smith. Und er ergänzt: „Wir wollen immer die Besten sein. Das ist Teil der amerikanischen Mentalität.“ Ob Balco Teil davon ist, verrät der Startrainer nicht. „Darüber gibt es keine Gespräche mit den Athleten“, sagt er, schließlich habe man „ein Kontrollsystem etabliert, das Fairness und Ehrlichkeit garantiert“. Aber wie fair ist es und wie ehrlich?

Drei Goldmedaillen haben die USA bis Montag in Helsinki gewonnen. Zwei im Sprint, eine im Kugelstoßen. Man kann nicht sagen, dass das die unverdächtigsten Sportarten sind. Und wenn man gesehen hat, wie der neue Kugelstoß-Weltmeister Adam Nelson während des Wettkampfes am Rad gedreht hat, kann man sich eigentlich nur noch eine Frage stellen: Was hat der denn genommen?

Okay, Monster Nelson ist schon 30 und also „old generation“. Justin Gatlin aber, der 100-Meter-Weltmeister, ist 23 und sagt: „Ich will dem Sport das Positive vermitteln“, womit Gatlin garantiert nicht seine Dopingtests meint. Aber dann muss man doch daran erinnern, dass Justin Gatlin bei Trevor Graham trainiert, und der auch Trainer von Mister und Misses Jones war. Mehr noch: Neun der ehemaligen Graham-Athleten wurden im Balco-Skandal schwer belastet. Also: Was soll man davon nur halten?

FRANK KETTERER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen