„Richter sind prinzipiell konservativ“

Politisch wären Neuwahlen notwendig, juristisch hingegen seien sie nicht zu rechtfertigen, meint der Richter am Bundesgerichtshof Wolfgang Neskovic. Dass er für die Linkspartei antreten will, nahmen seine Kollegen gelassen

taz: Herr Neskovic, wie soll das Bundesverfassungsgericht über die Neuwahlen entscheiden?

Wolfgang Neskovic: Wenn ich politisch gefragt werde, kann ich sagen, dass ich mich freuen würde, wenn das Bundesverfassungsgericht den Weg zu Neuwahlen freigäbe. Denn für das Linksbündnis ist das eine einmalige Chance, sich parlamentarisch zu festigen und sich im bundesdeutschen Parteiengefüge endgültig zu etablieren.

Und wenn Sie als Jurist gefragt werden?

Als Jurist kann ich nur sagen, dass das Bundesverfassungsgericht den Klagen stattgeben müsste. Das lässt sich mit einer ganz kurzen Überlegung verdeutlichen: Im Grundgesetz heißt es, dass eine Auflösung des Bundestages nur in Betracht kommt, wenn der Bundeskanzler das Vertrauen nicht findet. Wer etwas nicht findet, muss es vorher gesucht haben. Er hat aber nicht das Vertrauen gesucht, sondern das Missvertrauen. Er hat genau das Gegenteil gesucht. Er hat es sogar anempfohlen, so dass diese knappe Überlegung deutlich macht, dass die Auflösung des Bundestages nicht mit dem Willen des Grundgesetzes in Übereinstimmung stünde.

Aber die große Mehrheit der BürgerInnen will vorgezogene Wahlen.

Das ist rechtlich ohne Bedeutung. Dies sieht das Grundgesetz als Tatbestandsvoraussetzung gerade nicht vor. Außerdem ist darauf zu verweisen, dass bei der Entscheidung aus dem Jahre 1983 – das wird in der Öffentlichkeit nie hervorgehoben – es drei abweichende Voten gab. Die Entscheidung war damals schon so sehr umstritten, dass nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, dass die Verfassungsrichter heute genauso entscheiden, zumal keiner von ihnen damals beteiligt war.

So ohne weiteres können sie aber nicht eine frühere Entscheidung abändern.

Die heutigen Richter können durchaus neue Maßstäbe entwickeln. Diejenigen, die jetzt meinen, der Bundespräsident und der Kanzler müssten sich an dieser Entscheidung orientieren, übersehen, dass es keineswegs ungewöhnlich ist, wenn die Rechtsprechung ihre Maßstäbe verändert. Wer hier verantwortungsvoll mit der Verfassung umgeht, muss eben damit rechnen, dass das Verfassungsgericht mehr als 20 Jahre nach der Entscheidung und gerade angesichts der Umstrittenheit der damaligen Entscheidung die Maßstäbe neu festlegt.

Glauben Sie, dass das Bundesverfassungsgericht dem politischen Druck standhält?

Das kann man so nicht sagen. Von meinem Gefühl her gehe ich davon aus, dass es grünes Licht für Neuwahlen geben wird. Ich kann den Richtern nur wünschen, dass sie die Kraft besäßen, dem enormen politischen Druck zu widerstehen.

Sie selbst wollen für die Linkspartei kandidieren. Was sagen Ihre Kollegen am Bundesgerichtshof dazu?

Ich wusste natürlich, dass das Linksbündnis nicht eine Partei ist, der die Kollegen große Sympathien entgegenbringen. Doch sie haben deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie meinen möglichen Weggang aus fachlichen und persönlichen Gründen sehr bedauern würden.

Fällt man als Richter in Ungnade, wenn man sich zu tagespolitischen Ereignissen äußert?

Natürlich nicht. Aber man muss schon sehen, dass meine politische Grundüberzeugung am Bundesgerichtshof nur vereinzelt anzutreffen ist. Richter und Richterinnen sind prinzipiell, das liegt vielleicht in der Natur unseres Berufes, konservativ. Das heißt aber nicht, dass sie keine offenen Ohren, insbesondere für soziale Problemstellungen, haben und andere Meinungen nicht respektieren. Im Grunde genommen habe ich eher Bammel vor der Trennung von den Kollegen und nicht vor deren Reaktion auf meine Kandidatur für die Linkspartei gehabt.

Man wird Ihnen also auch bei zukünftigen Urteilen wegen parteipolitischer Voreingenommenheit Fälle nicht vorenthalten?

Ganz sicher nicht. Das deutsche Richtergesetz verbietet, im Gegensatz zu den angelsächsischen Ländern, die aktive Teilnahme am politischen Leben nicht, insbesondere nicht die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei. Die im Richterberuf erworbenen Erkenntnisse und Erfahrungen sollen auch für den politischen Alltag nutzbar gemacht werden.

Führt das nicht dazu, dass bei der Anwendung von Gesetzen parteipolitische Grundüberzeugungen in die Gesetzesauslegung einfließen?

Wir wenden die Gesetze an, indem wir sie auslegen. Letztlich ist die Gesetzesauslegung, insbesondere die Lückenausfüllung und die Rechtsfortbildung, auch eine politische Wertung. Das Entscheidende ist nur, dass Richter, die im Namen des Volkes sprechen, auch die Wertungshorizonte, die in der Bevölkerung vorhanden sind, widerspiegeln.

INTERVIEW: MAIK FORBERGER