Entsorgung im Grenzgebiet

Atom- und Giftmülllager reihen sich an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze

Grafik: taz

Von Reimar Paul

Das grüne Band ist ein Versprechen. Der Geländestreifen entlang der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze soll zum ökologischen Vorzeigeprojekt werden, der Grüngürtel ist ein Rückzugsgebiet für viele Tier- und Pflanzenarten. In Norddeutschland reicht das grüne Band von Travemünde in Schleswig-Holstein bis zum Eichsfeld im südlichen Niedersachsen, auf östlicher Seite sind die Länder Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie ein ganz kleiner Zipfel Brandenburgs einbezogen.

Wenige Kilometer weiter weg, aber immer noch nah an der früheren Grenze, hat es sich dann mit intakter Umwelt. Dort erstreckt sich ein ganz anderes Band – ein Band von Gift- oder Atommülldeponien. Zum Teil schon stillgelegt, zum Teil noch im Betrieb, zum Teil erst im Bau, ist ihnen gemeinsam, dass sie geplant wurden, als Bundesrepublik und DDR noch als eigenständige Staaten existierten. Auch wenn bei den Standortentscheidungen geologische Gegebenheiten mit eine Rolle gespielt haben mögen: Die Nähe zum Territorium des jeweiligen Klassenfeindes hat es auch.

Schönberg, Mecklenburg-Vorpommern

Es waren extreme Zahlen: 2017 wurde bekannt, dass auf der Abfalldeponie Ihlenberg – nach der früheren Bezeichnung VEB Deponie Schönberg heute noch oft Deponie Schönberg genannt – der erlaubte Grenzwert für Cadmium um mehr als 3.000 Prozent übertroffen wurde. Bei Zink waren es sogar 9.500 Prozent. In einer Charge sollen die Grenzwerte für Quecksilber sogar um 17.900 Prozent überschritten worden sein. Die Deponie liegt im westlichen Mecklenburg, die Großstadt Lübeck ist nur 14 Kilometer entfernt, die nächste Wohnbebauung gerade mal 200 Meter.

1979 hatte das SED-Politbüro den Beschluss zur Errichtung der Deponie gefasst. Den Kreistagsabgeordneten in Grevesmühlen wurde mitgeteilt, dass Bauschutt, Schlacke und Flugasche abgekippt werden sollten. Ein Jahr später begann die Verklappung auch von Sondermüll. Dumpingpreise und die unzulängliche Überwachung durch die DDR-Behörden machten Schönberg auch für die westeuropäische Abfallwirtschaft interessant. Müll konnte dort für 20 D-Mark pro Tonne entsorgt werden.

Zur Wendezeit 1989 lagerten etwa zehn Millionen Tonnen Müll auf der Deponie, seitdem ist der Müllberg jährlich um rund 600.000 Tonnen gewachsen. Er ist gegenwärtig etwa 110 Meter hoch, die Grundfläche umfasst ein Gebiet von 82 Hektar. Anlagen zur Müllbehandlung, insbesondere des Sondermülls, sind nicht vorhanden. Ein Konzept für die Schließung gibt es nicht.

2002 wurde erstmals bekannt, dass Mitarbeiter der Deponie an Krebs leiden. 2008 stellte die Uni Greifswald eine um 80 Prozent erhöhte Krebsgefahr für die Beschäftigten fest. Die Deponie gehört, über mehrere Gesellschaften, dem Land Mecklenburg-Vorpommern.

Morsleben, Sachsen-Anhalt

Der Salzstock Morsleben, ganz nah an der Grenze zu Niedersachsen, hat eine schillernde Geschichte. Um 1900 begann der Abbau von Kalisalz für die Landwirtschaft. Ab 1937 nutzte Görings Luftwaffe den Schacht zur Lagerung von Flugzeugmunition. Ab Februar 1944 diente das Bergwerk der Rüstungsproduktion und als Außenlager des KZ Neuengamme. 3.000 bis 5.000 Häftlinge und Zwangsarbeiter mussten Bauteile für Flugzeuge und Raketen zusammensetzen.

1992: Ein Atommüll-Container wird in Morsleben endgelagert Foto: dpa

Während in einem Schacht nach Kriegsende wieder Steinsalz gefördert wird, diente der Nachbarschacht der Hühnermast. Zwischen 1959 und 1984 werden hier Zehntausende Broiler gezüchtet. 1971 wurde Morsleben das Atommüllendlager der DDR. Mit deren Ende ging es in den Besitz der Bundesrepublik über. Auf die rund 14.400 Kubikmeter schwach und mittel radioaktiven Abfälle werden zwischen 1994 und 1998 unter Verantwortung der damaligen Bundesumweltministerin Angela Merkel (CDU) noch einmal 22.000 Kubikmeter draufgepackt.

Ähnlich wie in der Asse wurde Atommüll auch in Morsleben unter haarsträubenden Bedingungen eingelagert. Feste radioaktive Abfälle wurden zum Teil lose oder in Fässern in Einlagerungshohlräume gekippt oder gestapelt. Dabei wurden auch Fässer beschädigt. Zudem ist das ganze Grubengebäude instabil und vom Einsturz bedroht. Mehrmals schon krachten tonnenschwere Salzbrocken von Zwischendecken herab. Derzeit läuft das Verfahren zur Stilllegung von Morsleben. Sie soll, Stand heute, rund 2,5 Milliarden Euro kosten.

Gorleben, Niedersachsen

Rebecca Harms erinnert sich noch genau an den 22. Februar 1977. „Wir hörten entsetzt im Radio, dass Gorleben Standort werden sollte“, erzählte die Grünen-Politikerin, die im Wendland wohnt und von Anfang an beim Anti-Atom-Protest mitmachte. Niedersachsens damaliger Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) hatte überraschend ein Waldstück in dem kleinen Ort im Kreis Lüchow-Dannenberg als Standort für ein nukleares Entsorgungszentrum benannt. Auf 16 Qua­dratkilometern sollten eine Wiederaufarbeitungsanlage (WAA), eine Brennelementefabrik, ein Endlager und weitere Atomanlagen errichtet werden.

Neben Gorleben standen damals noch andere Salzstöcke in Niedersachsen zur Auswahl. Sie hätten sich nach Ansicht von Geologen viel besser als nukleare Lagerstätte geeignet.

Albrecht spekulierte aber, dass die Leute im strukturschwachen und konservativen Wendland nichts gegen das geplante Entsorgungszentrum haben würden und gegen die vielen versprochenen Arbeitsplätze erst recht nicht.

Doch es gab noch einen anderen Aspekt. Der – inzwischen gestorbene – Geologieprofessor Gerd Lüttig erinnerte sich in einem taz-Gespräch an eine Sitzung, in der Albrecht gesagt habe: „Jetzt haben wir dieses Morsleben direkt an der Zonengrenze. Wenn das mal absäuft, dann haben wir im Helmstedter Raum die verseuchten Wässer. Ich möchte jetzt die Ostzonalen mal richtig ärgern, nehmen wir Gorleben als Gegengewicht. Mal sehen, was herauskommt.“

Eine Wiederaufarbeitungsanlage in Gorleben ließ sich nicht durchsetzen, doch im unterirdischen Salzstock wurde bis 2014 gebohrt und gebuddelt. Bei der Suche nach einem Endlager für den hoch radioaktiven Atommüll ist Gorleben noch immer ein Kandidat.

Marode: das Atommülllager Asse Foto: dpa

Schacht Konrad, Niedersachsen

Das ehemalige Eisenerzbergwerk Konrad in Salzgitter, darauf verweisen Betreiber und Behörden gern, sei das einzige bisher genehmigte Atom-Endlager Deutschlands. Klingt gut, ist aber eine Luftbuchung. Denn wann und ob die Lagerstätte in Betrieb geht, steht in den Sternen. Nach mehrmaliger Verzögerung wurde die Fertigstellung erst im vergangenen Jahr um fünf weitere Jahre verschoben, auf 2027. 1982 wurde Schacht Konrad als Standort ausgewählt, 2002 gab es einen Planfeststellungsbeschluss, der aber erst 2007 nach abgewiesenen Klagen rechtskräftig wurde.

Der Bau dauert nicht nur immer länger, er wird auch immer teurer: Er soll jetzt 4,2 Milliarden Euro kosten, 600 Millionen mehr als zuletzt kalkuliert. Ursprünglich waren die Baukosten mit 900 Millionen Euro beziffert worden. 2013 waren es schon 2,9 Milliarden.

Konrad soll insgesamt 303.000 Kubikmeter schwach und mittel radioaktiven Atommüll aufnehmen. Der Abfall stammt etwa aus Krankenhäusern und aus dem Abriss von Atomanlagen, er macht 90 Prozent des deutschen Atommülls, aber nur 0,1 Prozent der Strahlung aus.

Für weiteren anfallenden Müll wird der Platz in Schacht Konrad nicht ausreichen. Für die aus dem havarierten Atommülllager Asse zu bergenden Fässer sowie die Rückstände aus der Urananreicherung muss wahrscheinlich ein weiteres Endlager her. Für eine Erweiterung wäre ein neues Genehmigungsverfahren nötig. Gegen den breiten Widerstand vor Ort, der von CDU-Bürgermeistern über das Landvolk bis zur IG Metall reicht, ließe sich eine Vergrößerung des Endlagers kaum durchsetzen.

Da muss es hin: Der niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht zeigt auf den Standort Gorleben (1977) Foto: dpa

Asse, Niedersachsen

126.000 Fässer mit Atommüll und teils hoch giftigen Chemieabfällen, zwischen den Jahren 1967 und 1978 eingelagert, gammeln seit Jahrzehnten im ehemaligen Salzbergwerk Asse II vor sich hin. Weil die Grube instabil ist und voll Wasser zu laufen droht, sollen die teils wohl schon von Salz und Rost zerfressenen Fässer nach Möglichkeit an die Oberfläche geholt werden. Die Räumung eines unterirdischen Atom­endlagers wäre ein weltweit einmaliges Unterfangen.

Am 4. April 1967 wurden die ersten 80 Fässer mit radioaktiven Abfällen aus dem Kernforschungszentrum Karlsruhe in der Asse versenkt. Zuletzt gelangen 1978 strahlende Abfälle unter die Erde. Die Abfälle, darunter rund 100 Tonnen radioaktives Uran, 87 Tonnen strahlendes Thorium, 28 Kilogramm Plutonium und 500 Kilogramm extrem giftiges Arsen, lagern in 13 unterirdischen Kammern.

Teilweise kippen Gabelstapler die Fässer einfach über Abhänge oder quetschen sie in bereits volle Hohlräume. Bis heute halten sich Gerüchte, dass dort auch Kadaver von Affen und anderen Säugetieren vermodern, mit denen radioaktive Versuche gemacht wurden. Unklar ist auch, ob entgegen offiziellen Beteuerungen nicht auch hoch radioaktiver Müll verklappt wird.

Seit 1988 läuft Wasser in das Bergwerk, täglich zwischen 12.000 und 14.000 Liter. Die Kammern mit dem Atommüll seien instabil, einige Zwischendecken bereits eingebrochen, sagen Experten. Sie befürchten auch unkontrollierte Grundwassereinbrüche. Obwohl die Räumung des Bergwerks noch gar nicht begonnen hat, sind schon jetzt 1,5 Milliarden Euro in das Vorhaben geflossen. Und es könne insgesamt viel teurer werden als bislang kalkuliert, warnt der Bundesrechnungshof in einem kürzlich bekannt gewordenen Bericht.