York Schaefer Popmusik und Eigensinn: Irgendwie altersweise
Für Menschen, die in den Achtzigerjahren mit mehr oder weniger devianter Musik zwischen Postpunk, NDW und Indierock aufgewachsen sind, war der holländische Musikclown Herman van Veen die Personifizierung von hippiesker Gefühligkeit und zirzensischer Kleinkunst. „Kollektiver Emotionalismus“ titelte die taz 1995 über ein Konzert des Holländers in Hamburg. Autor des Verrisses damals: Benjamin von Stuckrad-Barre. Für die Friedens- und Ökobewegten dagegen gehörte der Musikant mit dem auffälligen Haarkranz – ähnlich wie Hannes Wader und Konstantin Wecker – so zu ihrer postpubertären Politsozialisation wie der Anti-AKW-Sticker und der selbstgestrickte Pullover.
Dabei war das Leben von Herman van Veen selbst schon recht früh von Devianz und Widerständigkeit geprägt. Die Schule langweilte ihn, im Musikstudium zog es ihn raus aus Hörsaal und Proberaum auf die Straße. Mit 23 Jahren gründete van Veen in seiner Heimatstadt Utrecht die multimediale Musiktheater-Werkstatt „Harlekin“ als Produktions- und Ausbildungsstätte für freie Gruppen. Ein konsumkritischer Weltverbesserer, engagierter Entwicklungshelfer und Humanist also – klar, dass das damals Gymnasiasten, die sich „No Future“ auf die Jeans malten, nicht zusagte. Ohne die Musik wirklich zu kennen, herrschte eine Art unausgesprochener Imperativ: So was hatte man scheiße zu finden. Herman van Veen dürfte davon schon immer eher unbeeindruckt gewesen sein und eine Liedzeile wie „So gut, wie es früher war, ist es früher nie gewesen“ aus dem 2009er-Song „Gott sei Dank“ entlarvt das – wenn auch unfreiwillig – recht schön. Das Lied handelt eigentlich vom Altwerden und der inzwischen 74-jährige Barde und Multiinstrumentalist hat es heute noch im Programm.
Auch über 50 Jahre nach Beginn seiner Karriere sind Liebe und Kindheit, Tod und Toleranz Herman van Veens Themen, dargeboten in einem Programm mit für sein Alter erstaunlichen Tanzeinlagen, einem samtenen Gesang zwischen Bariton und Tenor sowie zumeist launiger Conference und Clownerie. Die Troubadoure, die umherziehenden Sänger des Mittelalters, sowie das französische Straßentheater mit seiner propagierten Einheit zwischen Kunst und Leben waren Hermann van Veens Schule. Zeitlose, irgendwie altersweise und auch altersmilde Kunst, aber natürlich immer mit aktuellem Zeitbezug, mit Liedern über die Chat-Wut der Jüngeren oder die Klimakrise.
Herman van Veens Art der „entschiedenen Sanftheit“, wie ein schreibender Kollege es nannte, zieht immer noch. Mit der aktuellen Platte „Neue Saiten“ kommt der Holländer jetzt für drei (!) Konzertabende hintereinander in die Bremer Glocke.
7., 8. und 9. 11., 20 Uhr, Glocke
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