Ramsi Binalshibhs Märchenstunde

Im Hamburger Prozess gegen Mounir al-Motassadeq hält die Bundesanwaltschaft am Vorwurf der Terrorbeteiligung fest und fordert 15 Jahre Haft. Der bekennende Mitattentäter Ramsi Binalshibh, der al-Motassadeq entlastet hat, sei unglaubwürdig

AUS HAMBURG ELKE SPANNER

Es ist eine Glaubensfrage, nach wie vor. Obwohl sich die Beweislage im zweiten Prozess gegen Mounir al-Motassadeq vor dem Hamburger Oberlandesgericht (OLG) nach dem Bekunden der Bundesanwaltschaft (BAW) „erheblich verbessert“ hat, ist das Plädoyer der Ankläger von Vokabeln wie „ich glaube“ und „ich bin überzeugt“ geprägt.

Entscheidend ist, ob dem Marokkaner Alltagshandlungen wie die Überweisung von Geld als Terrorunterstützung angelastet werden können. Die BAW hält an ihrer Überzeugung fest, mit al-Motassadeq ein Mitglied der Hamburger Terrorzelle um Mohammed Atta vor sich zu haben, das in die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA verwickelt war. Gestern forderten die Bundesanwälte eine Strafe von 15 Jahren Haft für den Angeklagten.

Im weltweit ersten Prozess um die Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon hatte das OLG al-Motassadeq im Februar 2003 der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Beteiligung an Mord in 3.066 Fällen schuldig gesprochen und zu 15 Jahren Haft verurteilt. Der BGH aber hat das Urteil aufgehoben und den Fall nach Hamburg zurückverwiesen: Die US-Geheimdienste hatten Aussagen des mutmaßlichen Al-Quaida-Drahtziehers und bekennenden Mitattentäters Ramsi Binalshibh zurückgehalten.

Deshalb befand der BGH, dass für das OLG „die Möglichkeit der Wahrheitsfindung eingeschränkt“ war. Würde man die Verurteilung aufrecht erhalten, hieß es weiter, bestünde die Gefahr, dass ein ausländischer Staat durch die selektive Auswahl an Beweismitteln ein hiesiges Verfahren „in seinem Sinne steuert“.

Diese Gefahr sieht die Bundesanwaltschaft nun dadurch abgewendet, dass das US-Justizministerium dem Gericht inzwischen Auszüge aus den Aussagen Binalshibhs übersandt hat. Darin entlastet der Vertraute von Ussama Bin Laden den in Hamburg Angeklagten: al-Motassadeq, behauptete Binalshibh bei seinen Verhören in den USA, sei kein Mitglied der Hamburger Terrorzelle gewesen.

Die prozessentscheidende Frage ist nun, ob die Beteiligten den Aussagen Binalshibhs Glauben schenken. Die BAW tut es nicht. Sein „Entlastungsvorbringen“ sei durch sonstige Beweise „entkräftet“. Es „liegt auf der Hand, dass er versucht, seine Brüder und Freunde zu schützen“, sagte der Bundesanwalt. Dazu sei Binalshibh aus seinem Glauben heraus nahezu verpflichtet. Was er den US-amerikanischen Ermittlern über al-Motassadeq erzählt hat, urteilte der Ankläger, sei eine Geschichte aus „Ramsis Märchenstunde aus 1001 Nacht“.

Die BAW zeigte sich nach wie vor davon überzeugt, dass in Hamburg bis September 2001 eine Gruppe bestand, die in Absprache mit den zur Flugausbildung in den USA weilenden späteren Todesfliegern die Anschläge mit vorbereitete. Motassadeq habe dabei eine maßgebliche Rolle gespielt, indem er den Attentätern etwa mehrfach Geld überwies. „Motassadeq“, fasste die BAW zusammen, „war nicht ahnungslos.“ Er selbst hat seine Dienste für die späteren Attentäter stets als übliche Hilfestellung unter Arabern verteidigt.

Im Parallelverfahren gegen den inzwischen rechtskräftig freigesprochenen Abdelghani Mzoudi vor dem Hamburger OLG war eine Wende eingetreten, als Verfassungsschutzchef Heinz Fromm von der Verfassungsschutzerkenntnis berichtete, dass die Todesflieger erst 2000 in Afghanistan für die Anschläge angeheuert worden seien.

Das widersprach der Anklage, die davon ausgeht, dass sich eine Hamburger Terrorzelle schon im Sommer 1999 gebildet hat – als al-Motassadeq regelmäßig zu Gast im Hause Mohammed Atta war. Auch daran glaubt die BAW nach wie vor: Selbst wenn die Hamburger Studienfreunde 1999 noch nicht vom Einsatz von Flugzeugen gesprochen hätten, hätten sie doch schon generell Anschläge gegen die USA geplant.

Das OLG wird sein Urteil am 19. August verkünden.