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Aufschrei gegen die Torwächter

Intellektuell agil erzählt, politisch engagiert und witzig – aber auf der Bühne geradezu implodiert: Ella Hicksons „The Writer“ über stereotype Geschlechterrollen im Theater

Große Pointe? Plötzlich feiert eine matriarchale Kommune ihre Lust Foto: Fotos (2): Kerstin Schomburg

Von Jens Fischer

Eine Kombination, die echt nervt – drei Worte mit 14 Buchstaben? Männer mit Macht! Die britische Schriftstellerin Ella Hickson, Jahrgang 1985, scheint damit so ihre Erfahrungen gemacht zu haben, als sie am Theater durchstarten wollte – und wohl feststellen musste, wie abhängig sie ist von der Macht, dem Geld und den durch kommerzielle Zwänge korrumpierten Sichtweisen der Intendanten, Verleger, Produzenten, Dramaturgen, Regisseure und Lektoren. Also dem patriarchalen Chor der Entscheider.

Furchtlos verarbeitet sie entsprechend ohnmächtige Wut in ihrem Selbstbehauptungsdrama „The Writer“. Die deutschsprachige Erstaufführung am Schauspiel Hannover zeigt den Aufschrei einer Dramatikerin gegen die Torwächter der Bühnenkunst. Von diesen alten, weißen, schuppigen Männern, wie es im Stück heißt, will sich Hickson nicht mehr die Welt erklären und ihre Texte umschreiben lassen, muss aber feststellen, dass diese ihre Welt bestimmen.

Auch ihre feministische Empörung beuten sie aus, weil die sich gerade gut verkauft. Und sie nutzen die eigene Stellung, um sich hier mal eine kleine Berührung, dort einen fetten Kuss und manchmal noch schamlosere Übergriffe zu gestatten. Das Feindbild ist sehr klar, die Form der Anklage divers, das Ziel ungewiss.

Es geht in „The Writer“ um die allmähliche Verfertigung eines Theaterstücks beim Spielen und Diskutieren des Textes. Zwischen Mann und Frau. Zwischen nach Freiheit lüsternder Emanzipation und nach Gewinn lechzender Lust auf einen Publikums-Hit und dementsprechend oktroyierten Kompromissen in Richtung Mehrheitsgeschmack.

Peinvolle Mannsbilder

Die 1. Szene gehört der jungen Autorin, die einen Regisseur mehr oder weniger zufällig trifft und sich auf ein Gespräch einlässt, wie die Machtverhältnisse am Theater die in der Gesellschaft spiegeln. Könnte reizvoll sein, wenn sich beide auf Augenhöhe begegnen. Aber der Typ ist ein eitel charmierender Macho-Witz. Der Nachwuchsschreiberin bietet er in semioffizieller Mission einen Job, privat ein Date an.

Angesichts des Zustands der Welt würde die Autorin gern „nackt und tobend mit offenen Armen zum Himmel schreien“, „Heilung“ verlangt sie von der Bühnenkunst, konkrete Utopien. Mit wohlfeilen Argumenten aus dem großen Zettelkasten der Gender-Debatten breitet sie ihren heiligen Zorn aus.

Wenn eine Frau auf die Bühne komme, so ihre Erfahrung, „fragen sich die Leute zuallererst: Wie alt ist sie? Wie sexy ist sie? Wie fickbar ist sie? So wird uns beigebracht, Frauen auf der Bühne zu sehen, oder überhaupt Frauen zu sehen“. Käme hingegen ein Mann auf die Bühne, fragten sich die Leute: „Was hat er wohl zu sagen? Was wird er wohl tun?“ Daraufhin der Regisseur: „Und was werden wir dagegen unternehmen?“ Und wieder sie: „Den Kapitalismus abschaffen und das Patriarchat stürzen.“ Er lacht laut, das Publikum leise.

Hickson sagte dazu in einem Interview mit dem Independent, wenn an diesem Punkt entschieden werde, das sei urkomisch, dann würde es nie eine politische Veränderung geben. Inszeniert ist die Szene in Hannover leider – zum Schmunzeln. Weil die Ausführungen nicht einladend radikal, sondern aufbrausend weltfremd klingen.

Perspektivwechsel. Der eben erlebte Streit zwischen Autorin und Regisseur wird als öffentliche Probe kenntlich, der sich eine Podiumsdiskussion anschließt. Theater über Theater im Theater. Wobei eine weitere Macker-Parodie das Wort führt und mit aufgeblasenem Dramaturgenjargon einer Frau dauernd über den Mund fährt: Er ist der Regisseur, sie die Autorin der ersten Szene.

Der nächste Cut bringt das dritte peinvolle Mannsbild ins Spiel, den Freund der Autorin, ein kleinmütiger Hipster-Wicht. Gern würde er sich im Reichtum sonnen, der ins Haus flattern soll, wenn das Theaterstück der Lebensgefährtin verfilmt wird.

Tun einfach nicht weh genug: die Frauenfiguren in „The Writer“

Daraufhin werden klassische Boulevardtheatermomente zum Thema Beziehungsstreit gefeiert. Es geht also um Macht und Sex. Sex? Der fühlt sich an wie – „Fitnessstudio. Ich bin immer froh, dass ich hingegangen bin, im Nachhinein. Wenn es erledigt ist“, sagt die Autorin. Sind so kleine Pointen … für das Stück im Stück aber wird eine große Pointe vorbereitet – und auch gleich gespielt. Die Autorin tauscht den Lebenspartner gegen die lesbische Kollegin aus und gründet Walpurgis-tanzend im güldenen Body mit weiteren Frauen eine matriarchale Kommune, sie feiern ihre Lust, tanzen ihr Begehren.

„Total schön sieht das aus“, sagt der Regisseur. Findet es aber halt auch total kitschig. Ein richtiges Ende soll her. Also zurück ins Beziehungsstress-Eigenheim-Bühnenbild, in dem nun das Autorinnenliebespaar streitet, dichtet und einen Monolog kreiert, der Anlass, Inhalt und Aussage des ganzen Abends auf den Punkt bringt: die Erzählung von zwei Liebhaberinnen Picassos, die sich um seine Gunst streitend zerfetzen, während er in aller Ruhe an „Guernica“ pinselt.

Hilflose Frauenfiguren

„The Writer“ will aus dieser Lethargie resignierter Empörung aufschrecken, dass Frauen doch immer wieder ihr Leben vergeigen, indem sie sich Männern unterordnen. Hickson verharrt aber mit ihrer verschachtelten Dramaturgie in diesem Aufschrei. Die Rat- und Hilflosigkeit der Frauenfiguren im Geschlechtermachtkrieg tun einfach nicht weh.

Ich habe schon lange keine Aufführung mehr gesehen, deren intellektuell agile Narration derart politisch engagiert, auch witzig daherkommt, aber auf der Bühne immer wieder geradezu implodiert. Vielleicht fehlt einfach die Dringlichkeit in einem Haus, das eben nicht von Männern, sondern von Intendantin Sonja Anders und Chefdramaturgin Nora Khuon geleitet wird.

„The Writer“: Nächste Aufführung: Sa, 9. 11., 19.30 Uhr, Hannover, Schauspielhaus

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