Die Wut des Künstlers

AUSSTELLUNG Das Gerhard-Marcks-Haus zeigt mit den „Moorsoldaten“ des Bildhauers Stefan Hempen eine intensive Auseinandersetzung mit den Emsland-Lagern der Nazis

VON JAN ZIER

Dicht an dicht stehen sie da, im kleinen Pavillon des Gerhard-Marcks-Hauses. Zehn Holzskulpturen, lebensgroß, mindestens. Mehr als ein Besucher zur gleichen Zeit ist hier fast schon zu viel. Zu bedrückend. Die „Moorsoldaten“, sie blicken dich mit leeren Augen an. Sie haben übergroße Hände. Sind ansonsten aber ausgemergelt. Ausgezehrt. Hohlwangig. Schmal. Und es kommen immer noch welche dazu. Am Ende werden es 15 sein, einer für jedes Konzentrations- und Strafgefangenenlager der Nazis im Emsland.

Bildhauer Stefan Hempen, Jahrgang 1973, stammt selbst aus dem Emsland, genauer gesagt aus Lorup. Das liegt unweit des ehemaligen Konzentrationslagers Esterwegen, und auch unweit des Börgermoors, in dessen KZ einst das Lied der Moorsoldaten entstand (siehe Kasten). Aber Hempen kannte es lange Zeit gar nicht, wusste lange überhaupt kaum etwas über die Geschichte jener Lager. Bis 2008.

Die Gefangenen der Emsland-Lager mussten das Moor kultivieren und Torf stechen – eines der Projekte, die im Zuge der nationalsozialistischen Siedlungs- und Autarkieideologie ins Leben gerufen wurden. Sie wurden schlecht ernährt, hatten für ihre Arbeit nichts als einen Spaten zur Verfügung.

Insgesamt wurden rund 80.000 KZ-Häftlinge oder Strafgefangene und zwischen 100.000 und 180.000 Kriegsgefangene in den 15 Emsland-Lagern inhaftiert. Bis zu 30.000 Menschen, darunter viele sowjetische Kriegsgefangene, kamen in den Moorlagern um. In der Frühzeit der Lager waren dort überwiegend politische Häftlinge interniert. So saß beispielsweise auch der spätere Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky im KZ Esterwegen ein – 1933 errichtet, war es eines der ersten Konzentrationslager in Nazi-Deutschland.

„Fast schon peinlich“ sei ihm gewesen, über all das so wenig gewusst zu haben, sagt Hempen heute. Und irgendwie hatte er das Gefühl: „Um mich herum wissen das alle. Nur ich nicht.“ Stimmte aber gar nicht. Über den Faschismus im Großen und Ganzen, ja, doch, da wusste er schon Bescheid, auch mit der Euthanasie hatte er sich schon beschäftigt, damals, als er noch in Bremen lebte. Aber der „lokale Faschismus“ daheim im Emsland? Hmm. „Was für Leute haben da gesessen?“ Er hatte keine Ahnung. Hempen fing an zu recherchieren. Scham. Aber mehr noch war er „sauer“, „enttäuscht“. Und vor allem „wütend“.

Das sieht man, ganz unmittelbar, und auch ohne all die Hintergründe des Werkes zu kennen. Hempen, der seinen Zyklus „Moorsoldaten“ hier erstmals in dieser Form ausstellt, arbeitet viel mit grobem Gerät, Maschinen, einer Flex, der Kettensäge. „Da kann man seine Wut gut auslassen.“ Und er ist einer, der die Leute aufrütteln will, vor allem die jungen. Und nicht nur im Stillen erinnern, mahnend gedenken. Die Wucht seiner Holzskulpturen trifft dich ganz unmittelbar. Emotional.

Wobei, der erste Moorsoldat ist noch vergleichsweise feingliedrig geraten, geschliffen. Heute ist ihm das „zu glatt“, sagt Hempen – „da perlt alles ab.“ Also ist die jüngste seiner Skulpturen rau geblieben. Seine Formensprache ist eine ganz direkte, offensive, expressive. Manches erinnert an die zweite Generation der Expressionisten, die vielfach auch der Arbeiterbewegung verbunden war.

„Die Berufsbildhauer würden die Nase rümpfen“, sagt Arie Hartog, der Direktor des Gerhard-Marcks-Hauses. Er grinst dabei. Er stellt Hempen nicht trotzdem, sondern gerade deswegen aus. Der ist als Bildhauer ein Autodidakt, so wie Marcks übrigens auch, und hat ursprünglich mal Orthopädietechniker gelernt. An der Kunsthochschule hat er sich zweimal beworben, erfolglos. Leute, die sehr stark inhaltlich arbeiten, so wie er, und weniger abstrakt, weniger konzeptionell, die sind gerade „nicht besonders in“, sagt Hartog dann – und hätten an Kunstakademien schlechte Karten. Hempen wollte angesichts dessen fast schon aufgeben, ehe er mit diesen Zyklus begann – aber am Ende, sagt er, sei der Wille, Kunst zu machen, stärker gewesen. „Es muss auch so gehen.“ Auch wenn er davon allein nicht leben kann.

In dem Ausstellungspavillon sucht man übrigens vergebens nach einem Begleittext. „Ich fände das kontraproduktiv“, sagt Hartog. Die Ausstellung soll nicht pädagogisch und belehrend sein. Sondern die Menschen anregen, sich selbst mit dem Thema zu befassen. „Das ist keine Geschichtsstunde über die Moorsoldaten“, sagt Hartog.

Und das muss es auch nicht sein. Die Ausstellung wirkt intensiv auch ganz ohne den erhobenen Zeigefinger.

bis 28. Oktober. Im Rahmenprogramm gibt es am 5. September um 19 Uhr im Gerhard-Marcks-Haus einen Vortrag über die Emslandlager 1933–1945