Die Praxis der digitalen Pflege

Beim Festival FilmRestored der Deutsche Kinemathek werden nicht länger nur große Klassiker des deutschen Films abgetastet, sondern auch Entlegeneres

Im Übergang vom Stumm- zum Tonfilm: Paul Czinners „Ariane“ Foto: Foto:Deutsche Kinemathek

Von Fabian Tietke

Allmählich tut sich etwas in der Digitalisierung des deutschen Filmerbes. Wer die Pressemitteilung der Filmförderungsanstalt (FFA) zu den Digitalisierungsprojekten des letzten Jahres liest, sieht, dass sich eine gewisse Bandbreite eingestellt hat. Es werden nicht länger nur große Klassiker des deutschen Films wieder und wieder abgetastet, sondern auch Entlegeneres. Die 10 Millionen Euro, die seit letztem Jahr jährlich zur Verfügung stehen, zeigen Wirkung. Heute Abend eröffnet die Deutsche Kinemathek im Kino Arsenal die vierte Edition des Festivals mit dem Satzzeichen-reichen Titel „Film:ReStored_04“. Nicht wenige Digitalisierungen des begleitenden Filmprogramms verdanken sich dem Förderprogramm Filmerbe der FFA. Wie in den Vorjahren ist das Festival auch dieses Mal eine Mischung aus öffentlichem Symposium und abendlichen Filmvorführungen. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf dem Ton.

Tonspuren von Filmen fristen oft ein tristes Dasein: Im Kino vor allem wahrgenommen, wenn sie durch Störgeräusche auf sich aufmerksam machen, werden sie allzu oft auch bei Bearbeitungen und Restaurierungen nicht mit der nötigen Aufmerksamkeit bedacht. Mit neuen Techniken und Apparaturen, vor allem aber der nötigen Aufmerksamkeit soll sich dies nun ändern. Das gilt insbesondere für den frühen Tonfilm, der durch heute nicht mehr gängige Filmtonverfahren und die Frage, wie diese Filme überhaupt einmal geklungen haben, besonders herausfordert.

Von den überzeugenden Ergebnissen kann man sich direkt zur Eröffnung überzeugen. Paul Czinners „Ariane“ zeigt den Aufbruch ins Leben der jungen russischen Studentin Ariane Kusnetzowa. Nach dem Abitur in Zürich zieht es sie nach Berlin zum Studium, lernt dort den selbstbewussten Lebemann Konstantin Michael kennen und verliebt sich in ihn. Während er von Beginn an keinen Zweifel daran lässt, dass es eine Liebe auf Zeit ist, bis er weiterzieht, versucht Ariane alles, um ihn umzustimmen. Die zeitgenössische Filmkritik ist mehr als angetan. Der Film- und Theaterkritiker Hans Sahl schrieb zu dem Film: „von den drei großen Filmereignissen [des Tonfilms], auf die wir alles, aber auch alles gesetzt hatten, ist nur eines geblieben, von dem wir sagen könnten, daß es sich gelohnt hat. Es heißt: Elisabeth Bergner als Ariane.“ Der Kritiker Herbert Ihering ist zwar ebenfalls angetan, fügt jedoch eine Bemerkung hinzu, die für die Übergangszeit vom Stummfilm zum Tonfilm typisch ist: „Der Tonfilm ist ein strenger Erzieher. Elisabeth Bergner kann sich jetzt selbst hören. Sie wird es merken.“ Bergners folgende Karriere zeugt davon, dass sie es gemerkt hat.

Wie schnell sich der Übergang vom Stummfilm zum Tonfilm vollzog, lässt sich an Max Obals „Jagd nach der Million“ beobachten. Obals Film wurde noch 1930 stumm uraufgeführt, von der Produktionsfirma aber nachträglich mit Tönen unterlegt. Wie in den ersten Tonfilmverfahren üblich wurde die Musik von separaten Schellackplatten abgespielt, die mehr oder weniger synchron zu der Filmkopie liefen.

Oft ist die Herausforderung beim Ton im Film jedoch nicht technischer Art. 1959 wurde Joop Huiskens beauftragt zum 10. Jahrestag der DDR einen Jubiläumsfilm in Agfacolor zu drehen. Für den Sprechertext von „Dass ein gutes Deutschland blühe“ wurde der Dichter Stephan Hermlin verpflichtet. Der fertige Kommentar schien dem SED-Politbüro jedoch zu „neutralistisch“. Ein zweiter Text entstand, diesmal von Karl-Eduard von Schnitzler, der vor allem als Propagandist bekannt wurde. Eine neue Digitalisierung der Defa-Stiftung erlaubt nun den Vergleich der beiden Fassungen.

Besonders erfreulich ist, dass im Zuge der Digitalisierungsprojekte vermehrt Audiodeskriptionen entstehen, die Filme des Filmerbes auch für Menschen mit eingeschränkter Sehkraft zugänglich machen. Das letzte Panel des Symposiums diskutiert Erfahrungen, Förderrichtlinien und Qualitätsstandards. Steht zu hoffen, dass man diese schönen Audiodeskriptionen künftig auch öfter im Kino zu sehen bekommt.

„Film:ReStored“ ist eine gute Gelegenheit, sich ein Bild zu machen von der aktuelle Praxis der digitalen Pflege des Filmerbes. Es macht eindrücklich deutlich, dass es nach einem zähen Start nun einiges an Fortschritten vorzuweisen gibt. Umso bedauerlicher, dass die Diskussion über eine analoge Sicherung des Filmerbes, um diese auch künftig in dieser Form sichtbar zu halten, in Deutschland nicht vom Fleck kommt. Die Schere zwischen beiden Entwicklungen könnte nicht augenfälliger sein.

Film:ReStored_04: 24.–27. 10. im Kino Arsenal, die Anmeldung ist kostenlos