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Schlag ins Gesicht

David Wallace-Wells beschreibt die Hölle, die der Klimawandel hinterlassen wird. Bernd Ulrich versucht zu skizzieren, was der Klimawandel in unseren Köpfen auslösen sollte, und will den Weg zu einer radikal anderen, ökologischen Politik weisen

Brennender Regenwald am Amazonas. Andere Umwelt­katastrophen laufen weniger sichtbar ab Foto: Ricardo Beliel/Brazil Photos/LightRocket/getty

Von Stefan Reinecke

Seit knapp 30 Jahren wissen wir, dass CO2 das Klima radikal verändert. Bei Konferenzen wurden Verträge geschlossen, es wurden Ziele fixiert, Wind- und Solaranlagen installiert, und für Moral Empfängliche fliegen seitdem mit ein bisschen schlechtem Gewissen in Urlaub. Die Hälfte des Kohlendioxids in der Atmosphäre, 820 Gigatonnen, wurde in die Luft gepustet, seit wir wissen, wohin all das führt. Die Erdbevölkerung ist so eng untereinander vernetzt wie nie zuvor, sie ist technisch so innovativ und wohl auch so aufgeklärt wie nie zuvor – und rennt sehenden Auge ins Verderben. Wir haben es mit einem schwindelerregenden Widerspruch zwischen Wissen und Handeln zu tun, der eine fundamentale Krise der Vernunft und Rationalität aufzeigt.

Den Wert von 820 Gigatonnen zitiert der US-Journalist David Wallace-Wells in seinem Buch „Die unbewohnbare Erde“. Es könnte auch heißen: „I want you to panic“. Wallace-Wells kompiliert aus den gängigen wissenschaftlichen Szenarien die jeweils schlimmste Variante und führt ein Dante’sches Höllenszenario vor, in dem Südeuropa zur Wüste wird, die Alpen trocken wie der Atlas werden und weltweit die Strände im Meer verschwinden. Das ist ein legitimes Mittel der Aufklärung, weil die professionellen AutorInnen der Klimaprognosen dazu neigen, das Gegenteil zu tun – nämlich zu untertreiben, um ja nicht als Panikmacher zu gelten, die die gebotene wissenschaftliche Zurückhaltung grellen Effekten opfern.

Man weiß in etwa, welche Katas­tro­phen­szenarien drohen, wenn die globale Temperatur um 2 Grad steigt – noch beunruhigender ist, was man nicht weiß. Das Klima ist abhängig von so vielen komplexen Variablen, dass es sich präzisen Prognosen entzieht. Es kann unkalkulierbare Rückkopplungseffekte geben. Wenn der Permafrostboden auftaut und Unmengen Methan freigesetzt werden, können alle Bemühungen, den Klimawandel zu stoppen, Asche werden. Ähnliches gilt für die Erwärmung der Meere, die weniger Kohlendioxid binden etc.

David Wallace-Wells: „Die unbewohnbare Erde. Leben nach der Erderwärmung“. Aus dem Englischen von Elisabeth Schmalen. Ludwig Verlag, Kiel 2019, 336 Seiten, 18 Euro

Um nicht als erleuchteter Wanderprediger zu gelten, arbeitet Wallace-Wells mit einem bekannten wirksamen Kniff: Er ist eigentlich gar kein Öko, der die Natur mehr liebt als seine Artgenossen, sondern ein All-American Boy, der gern Burger isst und mit dem Auto über den Highway brettert. Er hat einfach nur die Skizze, die die Wissenschaft vorlegt hat, ausgemalt. „Die unbewohnbare Erde“ ist mitunter redundant, der Ausflug in Kulturkritik und politische Theorie etwas zäh. Die Versuche, das monochrome Untergangsszenario durch mutmachende Appelle aufzuhellen, für einen US-Autor wohl unvermeidlich, unterfordern intellektuell. Doch ansonsten wirkt dieses Buch genau so, wie es wirken will: wie ein Schlag ins Gesicht.

Wie verändert das existenziell bedrohliche Auftauchen des Players Natur das politische Geschäft? Mit dem Klima kann man nicht verhandeln, schreibt der Zeit-Journalist Bernd Ulrich, und so etwas ist in der Politik nicht so recht vorgesehen. Das bundesdeutsche Mitte-Modell, das Merkel perfektionierte, kann pragmatisch auf Krisen reagieren, ist aber dafür unbrauchbar, eine Katastrophe, die noch kommt, in ihre politische Mechanik zu integrieren. Deshalb wird die Distanz zwischen dem, was nötig ist, und dem, was Konsenspolitik kann, immer größer.

„Alles wird anders“ will den Weg zu einer radikal anderen ökologischen Politik weisen. Es stimmt ja: Wir bräuchten jetzt sofort „weniger Öl, weniger Kohle, weniger Dünger, weniger Fleisch, weniger Fliegen“ (Ulrich) und bald den kompletten Ausstieg aus der fossilen Wirtschaft – und haben das Klimapaket. Je später der Ausstieg kommt, umso schwieriger wird er. Denn die Vorbehalte, die heute radikale Maßnahmen verhindern (nutzt der AfD, schadet der Exportindustrie, die üblichen Lobbygruppen rebellieren etc.) werden in 10, 20 Jahren noch heftiger sein. Wenn es klima­bedingt mehr Migration gibt, der Staat für durch Klimawandel verursachte Schäden zahlen muss und die Weltwirtschaft unter klimabedingten Krisen leidet, wird alles, was heute schwierig ist, noch schwieriger.

Der liberale Pragmatismus passt nicht zur Ethik des Klimawandels

„Wenn der Methankreislauf in Gang kommt, dann herrscht auch in westlichen Demokratien nicht mehr Freiheit, sondern blanke Panik. Freiheit hat ein Verfallsdatum“, so Ulrich. Der liberale Pragmatismus, die Allzweckwaffe bundesrepublikanischer Politik, passt nicht zur Ethik des Klimawandels.

Nicht zufällig zählt die Kritik des Merkelismus zu den überzeugenden Passagen des Textes. Ulrich hat sich vom Merkel-Fan zum Kritiker gewandelt, der nun ein bisschen Öko und Atomausstieg für die mattgrüne Oberfläche hält, die für ein gutes Gewissen sorgen sollte. Die eigene Erleuchtung inklusive Veganismus als wegweisend zu inszenieren ist ein rhetorischer Beglaubigungskniff, allerdings kein so effektvoller wie der von Wallace-Wells. „Meine eigene späte Etablierung als Journalist verlief parallel zur ersten zaghaften Ökologisierung der Republik.“ Solche Kurzschlüsse zwischen Biografie und Geschichte plus viel Ich sind vielleicht typisch für Journalismus, dem in digitalen Zeiten seine Bedeutung unsicher geworden ist.

Bernd Ulrich: „Alles wird anders. Das Zeitalter der Ökologie“. Kiepenheuer und Witsch, Köln 2019, 224 Seiten, 16 Euro

„Alles wird anders“ ist eine Art langer Leitartikel, flott geschrieben, manchmal angemessen sarkastisch, aber ohne Tiefenbohrungen. Wenn die liberalen Demokratien im Westen trotz aufrüttelnder Greta-Ansprachen strukturell versagen, brauchen wir dann eine Expertendemokratie? Wie sähe die demokratisch akzeptabel aus?

Allzu nonchalant klingt das Resümee. Ob wir eine kulturelle Revolution in Richtung Verzicht brauchen oder ob es reicht, Markt und Kapitalismus zu dekarbonisieren, das weiß Ulrich irgendwie auch nicht. Dieses Achselzucken ist allzu lässig. Das politisch zentrale, theo­retisch knifflige Problem beginnt erst danach. Gibt es Marktwirtschaft und Kapitalismus ohne Wachstumszwang? Und wie kommen wir dorthin, ohne dass die Gesellschaft kollabiert?

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