York Schaefer
Popmusik und Eigensinn
: Soli wie Ton-Gedichte

Foto: Privat

Die ersten zarten Pflänzchen einer hybriden, sich vermischenden Musikkultur aus Großbritannien begannen bereits vor gut 70 Jahren zu blühen. Aus den Kolonien des Empire kamen Ende der Vierzigerjahre die ersten Einwanderer auf die Insel, von der britischen Regierung angeworben als Busfahrer oder Krankenschwestern für das kriegsgeschundene Mutterland. Was sie mitbrachten war ihre Musik: Calypso aus Trinidad und Tobago, Kwela aus Südafrika, Highlife aus Ghana und Nigeria, Ragas aus Indien.

Ein Sound, der sich im Laufe der Zeit mit dem britischen Jazz verquickte, der sich ab den Fünfzigerjahren zunehmend von seinen amerikanischen Vorbildern emanzipierte und eigene fusionierte Formen hervorbrachte. Zum Beispiel die Bands Blue Notes oder später Brotherhood of Breath um den weißen südafrikanischen Pianisten Chris McGregor, der mit ausschließlich schwarzen Landsleuten wie dem Altsaxofonisten Dudu Pukwana und den Schlagzeuger Louis Moholo Kwela-Rhythmen und -Blechpfeifentöne der Straßenmusik aus Johannesburg mit neuen, freieren Jazzformen verband. Zu hören ist diese feine, humorvolle und erste explizit schwarze britische Musik unter anderem auf den Compilations der Reihe „London is the place for me“, die das ehrenwerte Londoner Label Honest Jon’s in den vergangenen gut 15 Jahren herausgebracht hat.

Nun war London schon immer ein Hotspot popkultureller Entwicklungen zwischen Kunst, Musik und Mode; vom „Swinging London“ der Sechziger für die erlebnishungrige und konsumfreudige Nachkriegsgeneration bis zu neuen elektronischen, eher apokalyptisch düsteren Klub-Sounds wie Drum ’n’ Bass, Grime und Dubstep. Seit ein, zwei Jahren steht auch ein stilistisch freier und vor allem tanzbarer Jazz aus London wieder hoch im Kurs, der an diese Entwicklungen in der elektronischen Musik anschließt. Um den „Mover and Shaker“ genannten Radiomoderator, Veranstalter und Label-Betreiber Gilles Peterson sowie den Saxofonisten Shabaka Hutchings mit seiner Band Sons of Kemet hat sich eine junge schwarze Community aus MusikerInnen aus dem Südosten der Stadt gebildet, die sich einem ekstatischen Jazz verschrieben hat, der auf Grooves basiert und tanzwütige Nachtschwärmer im Visier hat.

Zu dieser Szene gehört auch die Saxofonistin Nubya Garcia, die es versteht, mit ihrem sperrig-kantigen und doch rhythmusbetonten Spiel sowohl die Partycrowd als auch gesetztere Jazzhörer zu begeistern. Ihre Soli sind Ton-Gedichte, die sich aus einfachen repetitiven Phrasen in hohe Intensität steigern. Ziellose Riffs über Funk-Beats wie bei einigen kluborientierten Jazzbands findet man hier nicht.

Es herrscht ein pan-globales, rhythmisches Babel, wo Calypso auf Drum ’n’ Bass trifft und sich blubbernder Dub-Reggae in Richtung 2-Step, von Latin Funk zu Afrobeat bewegt. Eine neue, vielschichtige Musik, die dem spirituellen Jazz eines John Coltrane nahesteht, die aber auch kraftvoll und kämpferisch daherkommt.

Nicht umsonst haben Nubya Garcia und einige ihrer Mitstreiter aus der Szene den Tomorrow’s-Warriors-Workshop des Saxofonisten Gary Crosby besucht. Die Kämpfer von morgen!

Sa, 19. 10., 21 Uhr, Theater Bremen, Kleines Haus