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Zweifel ist ein Kraut aus der Schweiz

Mit Oud und Fuzz: Die unglaublich seltsame Band One Sentence.Supervisor aus dem Aargau tourt jetzt durch deutsche Clubs

Von David Rutschmann

Acedia ist ein Begriff aus der christlichen Spiritualität, er beschreibt geistige Trägheit. Da ist dann vom „Mittagsdämon“ die Rede, der die mittelalterlichen Mönche zur Mittagsstunde befiel und sie mit Zweifel erfüllte. Diesem Zweifel versucht sich auch die Schweizer Band One Sentence. Supervisor auf ihrem dritten Album zu stellen.

Existenzielle Zweifel äußern sich im Hinterfragen des eigenen, bequemen Lebensstils in der (westlichen) Gesellschaft. Um sich gegen den Klimawandel aufzulehnen, ist man zu träge – und dessen schämt man sich. One Sentence. Supervisor versucht, gegen diese Resignation anzukämpfen. Etwa, indem sie sich der Klimaschutzbewegung „Bewegung Music Declares Emergency“ anschließen.

Die Band aus dem Kanton Aargau beflügelt in der Schweiz seit ihrer Gründung Anfang der zehner Jahre die Kritiker*innen. Das Debütalbum „This Heavy Sea“ wurde 2013 vom Radiosender SRF sogar zum Schweizer Album des Jahres erkoren.

Seit dem letzten Werk „Temporär Musik 1–13“, das zwischen 2016 und 2017 scheibchenweise veröffentlicht wurde, hat die Band Zuwachs bekommen: Sarah Palin verbessert als Schlagzeugerin die zuvor desaströse Frauenquote von OSS. Bahur Ghazi, der die Band bereits auf Europa-Tour mit seiner Oud begleitete, ist nun ebenfalls Mitglied. Der Syrer wirkte an der Musikakademie in Kairo, bevor er vor dem Arabischen Frühling in die Schweiz floh. Vergangenes Jahr veröffentlichte er sein Soloalbumdebüt mit arabisch angehauchten Jazz-Improvisationen.

Seine arabische Laute wird nun auf „Acedia“ öfters in Szene gesetzt und verleiht dem Sound einige orientalisch anmutende Referenzen. OSS beschreiben ihre Musik selbst als „Krautpop“, der Eingängigkeit wegen und weil Indie-Bands auf Neologismen stehen. Mit dem ein oder anderen krautigen Geräuschgewitter schimmern in den wildesten Momenten ihres neuen Albums allerdings auch Referenzen an Psych-Rock-Zeitgenossen wie King Gizzard And The Lizard Wizard durch.

Dann duellieren sich schon mal die Oud und die rauschige E-Gitarre um das Recht, gegen den prägnanten Bass und das Schlagzeug anzuspielen. Am besten funktioniert das im Song „***“ (wir einigen uns an dieser Stelle, das als „3 Asterisk“ auszusprechen). Wenn im sehnsüchtigen Instrumentalteil die Sounds der drei Saiteninstrumente übereinandergelegt werden und sich gegenseitig vorantreiben, wird den Hörer*innen ein wenig schwindelig.

Im sehnsüchtigen Instrumentalteil kann einem schwindelig werden

Die Stimme von Donat Kaufmann, Sänger und Gitarrist, ist meist nur Beiwerk, kommt sie doch etwas distanziert daher. Die Silben zieht er gerne schwermütig in die Länge, während um ihn herum akribisch gesponnene Soundfäden flirren. Mit einer guten Dosis Hall, die er sich bei The War On Drugs geborgt hat, betet Kaufmann die Songtexte herunter. Manchmal mag man da die titelgebende Acedia raushören. Allerdings klingt nicht nur im Titeltrack ein bisschen bittersüße Aufbruchstimmung durch.

Auf „Who’s Whose“ wird Kaufmanns Stimme gar durch Autotune geschickt und digital gestreckt. Hier hat man sich Unterstützung von den Mundart-Synth-Poppern Jeans For Jesus geholt. Samples und Tonabfolgen aus deren Songs „Wosch no chli blibä“ und „Europe“ wurden zu einem Song geschmiedet – mit schwelgerischem Background-Gesang auf Französisch und Berndeutsch.

Beim Finale „Sadah“ geht das Quintett reduzierter ans Werk. Elegisch schleppt sich der Song auf sieben Minuten dahin und Kaufmann klagt über „all the noise“, all den Lärm, der ihn plagt. Am Ende klingt es doch, als seien OSS des Kämpfens müde – und wollten dem Zweifel, der Acedia, nachgeben.

One Sentence. Supervisor: „Acedia“ (Irascible/Cargo)

Live: 8. 10., Milla, München, 9. 10., Z-Bau, Nürnberg, 10. 10., Zukunft, Berlin, 12. 10., Molotow, Hamburg, 15. 10., Schon Schön, Mainz, 16. 10., Musikbunker. Aachen

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