berliner szenen
: Einsamer nie alsim Bus

Ich saß in einem Bus. Wir fuhren auf Sicht. Wir ließen die Stadt, in der wir lebten, auf uns wirken. Die Stadt knetete unser Empfinden auf eine angenehme, sanfte Art. Häuser schauten uns an. Wir schauten zurück. Die Häuser hoben sich aus den Böden an den Seiten der Straßen. Sie wirkten sehr nah. Wohnkästen, Brandschutzwände. Brachflächen, Lagerhallen, Bushaltestellen.

Wir fuhren durch die Outskirts der Stadt, die man um die vorher errichteten Wahrzeichen herum gebaut hatte. Brunnen, Tore, Türme. Eine ausgestreckte Stadt mit Fenstern, in denen es blau flackerte. Manchmal taten sich Lücken auf, und in den Lücken standen Bäume, trotzig und verbogen. Manchmal eröffnete sich eine kleine Budenwelt an einer Straßenecke. Alea hatte einmal erzählt, dass sie Busse liebte. Die langsamen Kreuzfahrten durch die Stadt. Die Leute, die Häuser. Tourismus zu Hause.

Jetzt, auf dieser Fahrt zurück aus dem im Süden liegenden Krankenhaus, auf der Fahrt zurück von der Konsultation bei Herrn Dr. Schmidt, ihrem Namensvetter, konnte ich die Busfahrt genießen. Normalerweise deprimierten mich Busse. Sie erinnerten mich an Verlorenheit, an Einsamkeit. Einsamer nie als im August? Einsamer nie als im Bus. Eine junge Türkin, die erkennbar schwanger war, im sechsten oder siebten Monat, schilderte ihrem Telefon ausführlich, wie sie möglichst wenig aß, damit das Kind nicht so schwer werden und sie keinen Kaiserschnitt würde erleiden müssen. Sie sah wirklich recht schmächtig aus, klein und schmal, und die Vorstellung, dass da ein vier Kilo schwerer Klumpen durch ihr Becken nach draußen drängen sollte, flößte einem schon aus der Ferne Respekt, wenn nicht Angst um sie ein.

Andererseits, dachte ich, wird dem Kind so schon im Mutterbauch der Mangel beigebracht, der ewige Mangel, was für eine Aussicht aufs Leben. René Hamann