die woche in berlin
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Der Berlin-Marathon hat einen neuen Rekord aufgestellt. Mit weit mehr als 60.000 Teilnehmern genießt das Rennen aber auch eine Beliebtheit, die eine wachsende ökologische Herausforderung darstellt. Die SPD-Senatoren melden wieder ziemlich prinzipielle Zweifel am Entwurf zum Mietendeckel an, und passend zum Tag der Deutschen Einheit klärt das Arbeitsgericht Grundsätzliches zum Ostdeutschsein.

Ressourcen für das Rennen

Der Berlin-Marathon in den Zeiten des Klimawandels

Es ist erstaunlich, mit welcher Geschwindigkeit und Vehemenz es das Thema Klimaerhitzung plötzlich in den Sport geschafft hat. Wegen fehlender Umweltfreundlichkeit, oder dringlicher: Menschenfreundlichkeit, musste sich bis vor Kurzem kein Marathonausrichter erklären.

Jetzt ist manches anders: Rund um den diesjährigen Berlin-Marathon diskutierte die Öffentlichkeit über Einweg- versus Mehrwegbecher, und die veranstaltende SCC Events GmbH macht Versprechen. Eine Bilanz der Gesamtemission des Berlin-Marathons gibt es zwar nicht, wie ein Sprecher auf Anfrage mitteilt. Aber seit diesem Jahr werden die CO2-Bilanzen verschiedener Bereiche des Marathons erfasst (die Berechnungen sind noch nicht abgeschlossen). Ebenfalls seit 2019 ist das EMAS-Umweltmanagementsystem eingeführt, das ermitteln soll, wie sich Ressourcenverbrauch und Emissionen einsparen lassen. 29.000 Wärmefolien sind jetzt aus Recycling-PET, auch Trinkbecher, an Mehrwegbechern wird getestet und das Magazin zum Lauf gibt es nur noch digital.

Das wachsende Bewusstsein im Sport – weiterhin zu wenig und zu spät, aber erst mal geschenkt – ist eine nicht zu unterschätzende Errungenschaft. Vor allem beim Ressourcenverbrauch lässt sich mit vergleichsweise wenig Aufwand viel erreichen, und vermutlich lassen sich sogar Kosten senken. Ganz ohne Pathos kann man sagen: Der nächste Berlin-Marathon wird ein besserer für die Welt sein.

Aber wo Ökologie und Profit nicht mehr Hand in Hand gehen, liegt schnell eine Grenze. Wie bei vielen Großevents wird auch bei den Läufern das meiste CO2 durch die Anreise freigesetzt. Das Magazin Runner’s World kalkulierte in einer recht oberflächlichen Hochrechnung bereits 2009, dass jede Läuferin für Material pro Jahr 440 Kilogramm CO2, für Reisen aber 4.136 Kilogramm CO2 ausstoße. Bei der diesjährigen Rekordzahl von 62.444 Teilnehmern aus 150 Nationen ergäbe das 258 Millionen Kilogramm CO2-Ausstoß für Reisen im Jahr. Andererseits: Wer kann die Summen schon einordnen?

Der Marathon ist eines der wenigen verbliebenen Sportereignisse, die Spitzen- und Breitensport vereinen. Kaum irgendwo sonst startet Weltklasse neben Kreisklasse, kaum irgendwo ist ein Sportereignis derart in der Stadt präsent.

Möglich, dass es angesichts der Erderhitzung zwingend ist, diesen Marathon nur noch alle zwei oder alle vier Jahre starten zu lassen. Möglich aber auch, dass der Ausstoß zu vernachlässigen ist (grob gerechnet 60.000 Menschen reisen zu jedem einzelnen Fußball-WM-Spiel an; jeder Deutsche ist für fast zehn Tonnen CO2 im Jahr verantwortlich). Deshalb wäre eine verpflichtende vollständige CO2-Bilanz dringend nötig. Und Expertinnen, die Großveranstaltungen einordnen. Vielleicht in einem Ampelsystem, von grün wie „fällt kaum ins Gewicht“ bis dunkelrot wie „Riesen-Problem“. Und dann wird es wirklich interessant.

Alina Schwermer

Genossen gegen das Absenken

SPD stellt sich bei Mieten-deckel gegen Lompscher

Eine ungewohnte Situation war das, Anfang des Jahres: Ein neuer, radikaler Vorschlag zur Lösung der Berliner Mietenkrise lag auf dem Tisch – eingebracht nicht von einer Mieterinitiative, nicht von Andrej Holm und auch nicht von der Linkspartei, sondern von der SPD. Die Bundestagsabgeordnete Eva Högl und zwei Parteigenossen greifen im Tagesspiegel einen Artikel aus der juristischen Fachpresse auf und fordern: die Einführung eines landesweit geltenden Mietendeckels.

Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) reagierte zunächst zurückhaltend auf den Vorschlag, in einem ersten taz-Interview meldet sie weitreichende rechtliche Bedenken an. In diesen Wochen schien es fast so, als wäre man in der Linkspartei verärgert darüber, dass es nun ausgerechnet der SPD gelingt, sich als Partei der Mieter:innen hervorzutun – eine politische Position, die die Linke gern für sich gepachtet wissen möchte.

Neun Monate später wird sich darüber niemand aus der Linken mehr Sorgen machen müssen. Lompscher hat den Mietendeckel längst für sich entdeckt, und der Frontverlauf scheint wieder der gewohnte: Hier eine Linken-Senatorin, die das Mietenproblem tatsächlich angehen will. Und dort eine SPD, der das gute Verhältnis zur Immobilienwirtschaft offenbar wichtiger ist als ihre eigenen Wähler:innen.

Anders lässt sich das SPD-Manöver der letzten Wochen jedenfalls schwerlich erklären. Rückblick: Nach dem ersten Entwurf für das Deckelgesetz sollten alle Menschen, die in einer Wohnung mit Mieten über den im Mietendeckel festgelegten Obergrenzen wohnen, ihre Mieten senken können. Die SPD sorgte dann dafür, dass dieser Kreis auf jene begrenzt wurde, deren Miete mehr als 30 Prozent des Einkommens verschlingt. Ein nicht nur politisch, sondern auch rechtlich bedenkliches Manöver: Das Mietrecht ist ein Preisrecht und Preise werden gemeinhin nicht nach Einkommen gestaffelt. Genau deswegen melden der Mieterverein und andere Organisationen schon seit Wochen Zweifel an, ob diese Kopplung rechtlich machbar ist, und fordern stattdessen: Absenkung für alle.

Wenn nun also der Regierende und jetzt auch die SPD-Senatoren die Absenkungsmöglichkeit mit Verweis auf genau diese rechtlichen Zweifel ganz streichen wollen, so bleibt nur noch die Frage: Ist das Inkompetenz oder bewusste Sabotage?

Dass die Kopplung ans Einkommen rechtlich bedenklich ist, hätte die SPD wissen müssen, bevor sie diese Änderung einbrachte. Dass bei einer Absenkung für alle die rechtlichen Bedenken entfielen, weiß sie jetzt. Die kurzen Wochen, in denen sich die SPD als Mieter:innenpartei hervortat – kaum zu glauben, dass das erst dieses Jahr war. Malene Gürgen

Ist das Inkompetenz oder bewusste Sabotage?

Malene Gürgen über das Lavieren der SPD beim Mietendeckel

Es gibt ihn nicht, den gemeinen Ossi

Arbeitsgericht weist Klage wegen Diskriminierung ab

Beim Berliner Arbeitsgericht weiß man offenbar, was Timing ist. Einen Tag vor dem Feiertag, mit dem man sich hierzulande müht, der Deutschen Einheit zu gedenken, veröffentlichte es eine geradezu symbolhafte Entscheidung. Demnach ist das Mobbing eines ostdeutsch sozialisierten Arbeitnehmers kein Fall von Diskriminierung im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Der gemeine Ostdeutsche, so die Argumentation des Gerichts, sei nun einmal weder Angehöriger einer eigenen Ethnie, noch teile er eine gemeinsame Weltanschauung.

Geklagt hatte ein bei einem Berliner Zeitungsverlag als stellvertretender Ressortleiter beschäftigter Mann. Er sei von zwei Vorgesetzten wegen seiner ostdeutschen Herkunft gedemütigt worden. Als Ausgleich verlangte er nun Schadenersatz, Entschädigung und Schmerzensgeld in Höhe von 800.000 Euro.

Für alle, die an dieser Stelle ein Déjà-vu haben: Bereits 2010 hatte ein Fall für bundesweite Schlagzeilen gesorgt, bei dem sich eine gebürtige Ostberlinerin auf Arbeitssuche in Schwaben als „Minus-Ossi“ diffamiert fühlte. Ein ortsansässiger Unternehmer hatte eine entsprechende Bemerkung am Rande ihrer Bewerbung notiert und sie gar nicht erst zum Gespräch eingeladen. Das Arbeitsgericht Stuttgart hatte ihre Klage mit den gleichen Argumenten wie in der aktuellen Begründung abgewiesen.

Es gab damals in den Medien auch Stimmen, die dies nicht goutierten. Es mache doch im Grunde keinen großen Unterschied, ob eineR wegen seiner türkischen oder seiner ostdeutschen Herkunft diskriminiert werde, kommentierte etwa ein Redakteur dieser Zeitung. Die Klägerin und der Unternehmer einigten sich schließlich mit einem Vergleich, bevor der Fall in die nächste Instanz ging. In der Klage ging es damals um 5.000 Euro.

Nun probierte es also ein Zeitungsredakteur mit ähnlichen Argumenten und weitaus höheren Forderungen. In gewisser Weise passt das zu einem innerdeutschen Unbehagen, das zu wachsen scheint, je runder die Mauerfalljubiläen werden.

Die Justiz zeigt sich davon nach wie vor unbeeindruckt. Schon in dem Stuttgarter Fall ließ der Richter wissen, dass es den Ostdeutschen schlicht nicht gebe und gerade mal 40 Jahre DDR nicht zu einer gemeinsamen Tradition, Sprache, Religion, Kleidung und Ernährung gereichten.

Die Ostdeutschen sind sich also in vielerlei Hinsicht so uneins wie die BewohnerInnen der Gebiete dies- und jenseits einer längst gefallenen Mauer. Eine Ungleichbehandlung ist insofern kein Fall für das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Das heißt jetzt übrigens nicht, dass Sie die ostdeutschen KollegInnen nach Herzenslust beleidigen können. Besagter Verlagsangestellter hätte gegebenenfalls mit einer Klage wegen Persönlichkeits- und Gesundheitsverletzung Erfolg gehabt. Er hatte es aber laut Gericht versäumt, seinen Arbeitgeber über das Mobbing zu informieren und ihm damit die Chance einzuräumen, an der Situation etwas zu ändern. So viel Eigenverantwortung muss dann schon sein.

Manuela Heim