Niemand nimmt Oma
auf

Schleswig-Holstein hat den höchsten Anteil von Pflegebedürftigen, die stationär untergebracht sind. Zwar werden immer neue Heime gebaut, trotzdem herrscht Mangel

Große Nachfrage: Betreuung in einem Pflegeheim Foto: Britta Pedersen/dpa

Von Esther Geißlinger

In der Rendsburger Innenstadt wächst ein Neubau in die Höhe. Wo früher eine Karstadt-Filiale stand, werden bald 110 Pflegebedürftige einziehen. Ob auf der grünen Wiese oder in der Stadt: In vielen Orten in Schleswig-Holstein entstehen zurzeit Altenwohnungen oder Pflegeheime. Dabei ist das Flächenland mit knapp 700 Heimen bereits gut ausgestattet. Gleichzeitig fehlt aber Personal: „ Der Fachkräftemarkt ist leer, das Versorgungsproblem verschärft sich monatlich“, sagt Kay Oldörp, Leiter der Landesgeschäftsstelle des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste (BPA).

Laut einer Umfrage des Verbandes unter seinen 230 Mitgliedern dauert es zwei Monate, bis ein Pflegebedürftiger aufgenommen werden kann. Noch schlimmer sieht es bei Kurzzeitpflege aus: 90 Prozent der Anbieter haben kurzfristig kein Bett frei. Das Problem betrifft auch die kommunalen und frei-gemeinnützigen Heime: „Wir bewegen uns auf eine Vollbelegung zu, Heime führen Wartelisten“, heißt es auf taz-Anfrage.

Dabei ist Kurzzeitpflege für Heime am wenigsten attraktiv: Der bürokratische Aufwand bei der Aufnahme ist hoch, egal ob jemand Jahre oder Wochen bleibt. „Dramatisch“ nennt die Pflegeberufekammer Schleswig-Holstein, die Vertretung der Beschäftigten, die Lage. Denn die Kurzzeitpflege dient dazu, dauerhafte Heimaufenthalte zu vermeiden oder hinauszuschieben. So sollen Ältere etwa nach einem Krankenhausaufenthalt für einige Wochen im Heim leben, um danach wieder nach Hause zu können, oder pflegende Angehörige sollen entlastet werden, indem sie betagte Eltern oder demente PartnerInnen in ein Heim bringen können.

Pflegebedürftig sind nach den neusten Zahlen des Statistikamtes Nord 109.162 Menschen in Schleswig-Holstein, rund 67.000 von ihnen sind Frauen.

Als pflegebedürftig gilt, wer einen festgestellten Pflegegrad hat. Darunter sind vorwiegend ältere Menschen, aber auch jüngere bis zum Kindesalter, die aufgrund von Krankheit oder Behinderung Hilfe brauchen.

Professionelle Hilfe erhalten rund 65.000 der Personen mit Pflegegrad, davon 26.000 durch einen der 475 ambulanten Dienste im Land.

Rund 39.000 Menschen leben in einem der 692 Heime im Land.

„Wir versprechen den Angehörigen Entlastung, lassen sie hier aber allein“, kritisiert Birte Pauls, pflegepolitische Sprecherin der SPD-Lantagsfraktion. Sie hat im Frühjahr das Thema auf die politische Tagesordnung gesetzt, mit nur mäßigem Erfolg. Der Antrag der SPD, in Schleswig-Holstein Heime für die Kurzzeitpflege zu schaffen, wurde „in Bausch und Bogen abgelehnt“, sagt Pauls. „Stattdessen hat Jamaika das Problem zum Bund geschoben.“

Allerdings, so ist aus Fachkreisen der Landeshauptstadt zu erfahren, werde auf Landesebene an einer Lösung gearbeitet. Eine ­Einigung gibt es aber noch nicht. Auch die ambulanten Dienste leiden unter Personalmangel, und auch das könne dazu führen, dass „pflegebedürftige Personen gezwungenermaßen früher als erforderlich stationäre Leistungen in Anspruch nehmen“, warnt die Pflegeberufekammer.

Damit wachsen trotz des Grundsatzes „ambulant vor stationär“ die Bettenzahlen in Heimen. Sozialminister Heiner Garg (FDP) bezeichnete es im Frühjahr im Sozialausschuss als grundsätzliches Problem, dass weniger Personen als gedacht zu Hause betreut würden. In Schleswig-Holstein sind prozentual sogar noch mehr Pflegebedürftige stationär untergebracht als anderswo – der Grund dafür ist unklar, aber die Kapazitäten steigen weiter.

Auch deshalb, weil Heime ein lukratives Investment sind: „Demografie ist der einzige Makrotrend, der mit großer Wahrscheinlichkeit vorausgesagt werden kann“, wirbt die Investment-Firma Avia-Rent, die selbst als Bauherrin für Altenwohnungen und Heime in Schleswig-Holstein aktiv ist, für Kapitalanlagen. Vor allem Ketten wie Alloheim, die bundesweit Negativ-Schlagzeilen machen, wachsen im Norden.

„Mit der Pflege Geld verdienen sollten eigentlich nur die, die dort arbeiten“

Sabine Pauls, SPD-Fraktion

Es sei ein Fehler gewesen, bei der Einführung der Pflegeversicherung den Markt zu öffnen, sagt die SPD-Politikerin Pauls. „Sicher gibt es hervorragende private Heime“, betont sie, „aber es kann nicht sein, dass die Rendite im Vordergrund steht, wie es bei Konzernen der Fall ist. Mit Pflege Geld verdienen sollten eigentlich nur die, die dort arbeiten.“ Ihr wäre am liebsten die „Rolle rückwärts“ zu einer kommunalen oder frei-gemeinnützigen Versorgung wie im Nachbarland Dänemark, wo die Pflege durch die Regionen organisiert werde.

In Deutschland wird über kleinteiligere Fragen gestritten. So ist es gelungen, die Alten- und Krankenpflege zu einem Beruf zusammenzufassen, um mehr Azubis in den Job zu bringen. „Wir werden das fristgemäß schaffen“, heißt es aus dem Kieler Sozialministerium. Außerdem ist das Land an einem Antrag zur Reform der Pflegeversicherung beteiligt, der im Bundesrat vorliegt. „Die steigenden Kosten in der Pflege dürfen nicht allein zu Lasten der pflegebedürftigen Menschen und der Beitragszahler gehen“, sagt Heiner Garg. Ziel ist ein Bundeszuschuss aus Steuermitteln.