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Polymorphe Rekombinationsgeilheit

KÜHNES MIXEN Paul Beatty verfolgt das Projekt, identitäre Zuschreibungen literarisch aufzubrechen: „Slumberland“

So wird der Schwarze zum Ossi, der Nazi zum Schwarzen und der Karneval der Kulturen zur Groteske

VON EKKEHARD KNÖRER

In „Slumberland“ kommt zusammen, was nicht zusammengehört: Hühnerfickerpornos und Freejazz-Musik. Ein afro-amerikanischer DJ und Ossis, die durch die soeben geöffnete Mauer strömen. „Wetten, dass…?“ und Judenhass. Der legendäre Scratch in Herbie Hancocks „Rockit“ und das Horst-Wessel-Lied. Oder auch: ein Neonazi mit Liebe zu schwarzer Musik. Ein Schwarzer mit intimer Kenntnis von Nazi-Liedgut. Zusammen kommen schwarze Männer und weiße Frauen, außerdem der perfekte Beat und Vokuhila-Frisuren.

Damit das funktioniert und nicht einfach nur sinnlos zwischen zwei Buchdeckeln nebeneinander steht, braucht es einen Erzähler mit dem absoluten Gehör. Einen Erzähler, der einerseits virtuoser DJ ist mit detaillierter Kenntnis des entlegensten Erzählmaterials, andererseits aber eine unverkennbare Stimme besitzt, die das Heterogene in einen Zusammenhang fügt und so die Widersprüche zum Tanzen bringt. Diese Stimme, dieser Erzähler ist DJ Darky alias Schallplattenunterhalter Dunkelmann alias Ferguson W. Sowell (Sowell wie: Soul). Dieser Sowell, nach dessen Stimme man auf der Stelle süchtig wird, erzählt, wie er von New York kurz vorm Mauerfall nach Berlin gerät, und zwar auf der Suche nach einer seit Jahrzehnten verschollenen Jazzlegende namens Charles Stone aka Der Schwa. Das ist eigentlich alles, was Beatty als Plot nötig hat. Der Rest ist ein literarisches DJ-Set, das die Ordnung der Welt mit extremer sprachlicher Virtuosität und umwerfendem Witz zu Klang püriert. (Robin Detje hat das mit geringstmöglichem Verlust ins Deutsche gebracht und also ein Übersetzungswunder gewirkt.)

In Charles Stones Beinamen „der Schwa“ kommen Schall und Wahn des Romans wohl am klarsten zusammen. Schall ist alles in diesem hoch musikalischen Buch und faszinierender Wahn die irre Hybridisierungslust, die einander sehr ferne Dinge zusammenbringt. Und „Schwa“ ist, linguistisch gesehen, aus dem Hebräischen kommend und aus der Wikipedia zitiert, „die lautliche Realisierung des mittleren Zentralvokals, der sich artikulatorisch und akustisch etwa in der wohldefinierten Mitte zwischen den anderen Vokalen befindet“. Im Deutschen: wie das „e“ – das kein „e“, sondern ein Schwa ist – in Mücke.

Der Schwa hat als Vokal-Laut den Status eines versteckten Dazwischen, das vieles zugleich und nichts richtig ist, eines schwachen Urlauts sozusagen, der überall hinkommt, vieldeutig schillert und darum kaum festzulegen ist. Er versinnbildlicht so nicht zuletzt den Roman „Slumberland“ selbst. Der ist ein Experimentierfeld zur Auflösung von Identitätszumutungen, rassischer und nationaler vor allem. Alle wollen alles immer als etwas identifizieren. Beattys gewagte und brillante Strategie besteht nun darin, das Spiel der Identitäten mitzuspielen, sich dabei aber an keine Stoppregel zu halten. So wird der Schwarze zum Ossi, der Nazi zum Schwarzen und der Karneval der Kulturen zur erhitzten Groteske.

Das Projekt also wäre: Identitäre Festschreibungen durch kühnes Mixen in einen Zustand polymorpher Rekombinationsgeilheit zu versetzen. Was der temporäre Taumel bewirkt, bleibt dennoch die Frage, die Beattys Roman stellt und eher skeptisch beantwortet. Gleich zu Beginn wird zwar die postrassistische These präsentiert: „Der Neger ist jetzt offiziell Mensch. Alle sagen das, sogar die Briten.“ Keineswegs stellt Paul Beatty damit aber eine Wahrheit einfach hin. Ein Leitmotiv eher, das in der Folge durch die irrsinnigsten Variationen, Antithesen, Wiederholungen, Umkehrungen und Belastungsproben geschickt und zuletzt ad absurdum geführt wird. Am Ende wird dann aber als Schwa-Wall of Sound die Mauer wieder errichtet. Man darf bei einem an Ideen so reichen Roman die letzten Worte zitieren, weil sie die letztlich nicht gerade optimistische identitätspolitische Denkbewegung des Buch perfekt auf den Punkt bringen: „Mann, diese Deutschen. Entweder wollen sie dich flachlegen oder umlegen. Manchmal beides. Genau wie alle anderen.“

Paul Beatty: „Slumberland“. Aus dem Englischen von Robin Detje. Blumenbar, Berlin 2009, 319 S., 19,90 Euro

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