die gesellschaftskritik
: Gestrandet im Lebensstil

Die Thomas-Cook-Affäre zeigt: Wir sind immer noch die, die überall sein dürfen – und immer nach Hause gebracht werden

Es sind beeindruckende Zahlen. 600.000 Reisende sollen von der Thomas-Cook-Pleite betroffen sein. Allein 140.000 Deutsche sind unter den Geschädigten, 160.000 Briten sitzen „abroad“ fest. Sie befinden sich zu weit weg von daheim, um einfach loszulaufen oder sich von den Kindern abholen zu lassen. Und dabei ist nicht mal mehr Hochsaison.

Ist überhaupt noch wer in Europa? Wer macht all das, was anliegt? Wer schädigt noch zu Hause das Klima, wer fährt seinen Panzer in den Straßen oder auf den Gehwegen der Städte spazieren – und wer demonstriert dagegen?

Die Operation mit dem Codenamen „Matterhorn“, mit der die Urlaubenden auf die britischen Inseln zurückgeholt werden, gilt als größte Rückhohlaktion des Vereinigten Königreichs – in Friedenszeiten, wie in den Berichten betont wird: Aus Dünkirchen wurden im Mai und Juni 1940 mehr als 300.000 britische und französische Soldaten evakuiert und vor der Naziwehrmacht gerettet.

Was hier genau beeindruckt, ist das Privileg. Wie diese Zahlen plötzlich aufploppen. Hat wirklich in letzter Zeit irgendwer jemals vor „Verbotskultur“ oder vor einem „Angriff auf unseren Lebensstil“ gewarnt?

Ja, schon, irgendwie: „Es geht gegen unsere freiheitliche Lebensweise, um die Zerstörung der marktwirtschaftlichen Ordnung“, meinte Friedrich Merz nach der vollkommen unkapitalismuskritischen friedlichen Kritik am lauen Klimaaufschlag der Großen Koalition twittern zu müssen. Eine Agglomeration vergleichbar der Audi-Stadt Ingolstadt – mit ihren knapp 140.000 Einwohnern – hat ihn gar nicht erst nicht gehört; sie waren mit Thomas Cook unterwegs, die freiheitliche Lebensweise begehend, ihre Fußabdrücke setzend.

Würde nur ein Mensch durch das aktuelle „nightmare scenario“ (CNN) der Thomas-Cook-Pleite an Leib und Seele ernsthaft Schaden nehmen – es wäre einer zu viel. Es fällt überhaupt nicht schwer, sich vorzustellen, wie gerade Kinder und ältere Menschen in der gegenwärtigen Situation leiden, am Flughafen ausharren und auf Transport hoffend.

Und doch: Die Zahlen sind beeindruckend. Das ist unser Business as usual. So leben wir. In Messina sind am Dienstag die geretteten Flüchtlinge der „Ocean Viking“ an Land gegangen. Unter den 182 Geretteten waren 14 Kinder, darunter ein Neugeborenes. waam