: berliner szenen In der Indie-Idylle
Gefühlter Oktober
Badeschiff in Seenot, ein huschender, einsamer Wind, der Papierballen durch die verwaisten Strandbars treibt. Sehnsüchtig knarrende Segelboote an den Pieren der großen Seen und ein Sonnenmilchmann, der mit verzweifeltem Blick auf seine stagnierende Registrierkasse schaut: Sommer 2005. Gut, dass das Berliner Kulturprogramm so vielfältig ist und nicht nur die Blues Brothers Show, sondern auch Yo La Tengo im Columbiaclub anbietet. Von dem Angebot wurde reichlich Gebrauch gemacht. Tatsächlich waren fast alle da. Während die rüstigen, engagierten Herrschaften von The Scene Is Now die Vorband gaben, tobte in den hinteren Reihen das große Hallo. Waren Yo La Tengo nicht mal für ihre Zurückgezogenheit bekannt? Als Band aus der Indie-Idylle, als Jugendzimmertraum heutiger Thirtysomethings?
Stimmt, der Männeranteil war entsprechend hoch, allerdings waren auch zahlreiche junge Frauen anwesend, tüchtig alkoholisiert zogen sie durch die Reihen und wollten schon vorher wissen, wie es nachher gewesen sein wird. Auch für Pärchen schien die Musik reizend zu sein. Zu jeder ausschweifenden Feedback-Orgie (die erste begann mit dem dritten Stück) ein heftiger Zungenaustausch. Gut, dass die Band aus Hoboken mittlerweile fast jeden Stil drauf hat. Barbershop, schwüle Orgel-Bossa-nova-Nummern, der melancholische Folksong, das lang gezogene Rockerelend. Georgia Hubley gab Nico am Schlagzeug. Ira Kaplan bekam ständig eine neue Gitarre gereicht. James McNew kann auch singen und ist über die Jahre nicht leichter geworden. Am Ende hieß es, leise Abschied nehmen. Vom ausgefallenen Sommer, vom guten Animationsprogramm, das diese Stadt bietet. Mal sehen, was heute ansteht.
RENÉ HAMANN
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