Zusammenhaltlos

„Weichland“, das neue Stück im Theaterdiscounter, ließ seine Zivilisationskritik in völliger Beliebigkeit ertrinken

Wir Europäer sind schon seltsame Menschen. Erst beglücken wir die rückständigen Völker unseres Planeten mit Aufklärung und Zivilisation. Und dann fangen wir an, uns nach dem Paradies zu sehnen, das wir soeben zerstört haben. Was uns im öden Europa fehlt, glauben wir an exotischen Orten wiederfinden zu können. Das Klischee von der blumenbehangenen Südsee-Schönheit, die einem am Strand von Waikiki unterwürfig lächelnd den Cocktail reicht, hat einen festen Platz in unserem kulturellen Inventar.

„Weichland“ heißt das neue Stück des Theaterdiscounters, das sich fest vorgenommen hat, an diesen Klischees kräftig zu rütteln. Anspruch und Erwartung waren bei der Premiere am Mittwochabend hoch, schließlich bildet „Weichland“ den Auftakt einer dreiteiligen Serie, die sich mit der „kulturellen Festung“ Europa auseinander setzen will. „Angstland“ und „Neuland“ sollen im Oktober folgen. Herausgekommen ist ein eigentümliches Gebräu an Texten, das sich nur wenig um Historie und schon gar nicht um so was Langweiliges wie Zusammenhang scherte. Sklaverei, Kolonialisierung, Sextourismus – unbekümmert wurden Diderot mit Houllebecq, Abhandlungen über Gauguin mit den Reiseberichten des Seefahrers Bougainville in einen Topf geworfen, einmal kräftig durchgerührt und bei mittlerer Hitze eine Stunde lang geköchelt.

Auch die vier Schauspieler mussten sich diesem Diktat der Beliebigkeit beugen: Die Damen kreisten karibisch mit den Hüften, die Herren gaben Sextouristen im All-inclusive-Urlaub. Dann sangen wieder alle vier einen tahitianischen Choral, meditierten, baggerten, zogen sich aus, um, wieder an und spielten am Schluss noch ein bisschen Minigolf. Das funktionierte vor allem dann, wenn sich das Spiel am Text reiben konnte, beide im scharfen Kontrast zueinander standen. Etwa, wenn sich die Männer gierig über eingeborene Mädchen hermachten und dabei etwas Abstraktes von der soziologisch-kulturellen Struktur der tahitianischen Gesellschaft zusammenfaselten. Das war oft komisch, in den stärksten Momenten sogar bedrückend.

Doch einen ganzen Theaterabend vermochte dieses Potpourri nicht zusammenzuhalten. Man hätte sich – ganz bieder und mitteleuropäisch – mehr dramatische Struktur, Pausen und Höhepunkte gewünscht. Das Premierenpublikum ertrug es jedoch gefasst. Man war offenkundig freundlich gestimmt und spendete dem sich brav verbeugenden Quartett am Schluss höflichen Beifall.

MARTIN SCHNEIDER