Selbstabfüllung in Sessel-Landschaft

Immer mehr Geschäfte bieten Lebensmittel ohne Plastik- und Papierverpackungen an. Darunter das „Füllkorn“ in Bremen, das längst über eine treue Stammkundschaft verfügt

Behältnisse zum Abfüllen können auch geliehen werden: das „Füllkorn“ in Bremen Foto: Nikolai Wolff

Von Florian Fabozzi

Beim Eintreten fallen als erstes die rustikalen Holzmöbel auf und der Duft von frisch gebrühtem Kaffee. Das „Füllkorn“ ist eines von drei Unverpackt-Läden in Bremen. Im Sinne der ökologischen Nachhaltigkeit wird hier bewusst auf Plastik und Papier verzichtet, die Produkte werden in Glasbehältern und Holzkästen aufbewahrt. Kund*innen können sich die gewünschte Menge einzelner Lebensmittel per Hebeldruck abfüllen.

Getreide, Nusskerne, Teigwaren oder Müsli lassen sich hier genauso kaufen wie frisches Gemüse. Selbst Reinigungsmittel kann man sich abfüllen. Abgerechnet wird am Ende nach Gewicht: Jeder füllt sich nur so viel ab, wie er oder sie benötigt. Wer keine eigenen Behälter zur Hand hat, kann sich vor Ort Gläser ausleihen.

Das Konzept der Unverpackt-Läden erfreut sich wachsender Beliebtheit: 2013 wurde in Kiel der erste Unverpackt-Laden Deutschlands eröffnet – heute sind es bereits 120 Läden an der Zahl. Allein in diesem Jahr sind nach Angaben des „Unverpacktverbandes“ weitere 60 Läden geplant. Ulf Sawatzki, Inhaber des „Füllkorn“, ist von dem Boom überwältigt: „Die Einnahmen des Ladens stehen weit über dem, was ich prognostiziert hatte.“

Das Füllkorn gibt es seit April 2018, die Hauptzielgruppe sind junge Eltern, denen es wichtig ist, beim eigenen Konsum „keinen Footprint zu hinterlassen“, wie Sawatzki sagt. Damit die Eltern auch ihre Kinder mitbringen können, hat er eine Aufenthaltsecke mit bequemen Sesseln eingerichtet. Dort können die Kinder malen und die Eltern Magazine lesen und Kaffee trinken. Sein Laden solle „auch ein Ort der Entschleunigung“ sein, erklärt Sawatzki. Das Konzept kommt gut an: Längst hat sich ein Stamm fester Kund*innen gebildet. „Vor einem Jahr kamen 50 bis 60 Leute pro Tag“, sagt Sawatzki, „heute sind es bis zu 100 Menschen.“

Den Erfolg dieses Konzepts sieht der 38-Jährige in der fortschreitenden gesellschaftlichen Sensibilisierung für Umweltthemen. Diese beginne schon zu Hause: „Irgendwann nervt es die Menschen, zu sehen, wie schnell sich ihr Gelber Sack füllt.“ Sie kämen an einem Punkt, an dem sie ihren Müll reduzieren wollten. Der Einfluss von Medien und Freund*innen tue sein übriges. Sawatzki vermutet, dass nicht zuletzt die Bewegung „Fridays for Future“ für Kundenzuwachs gesorgt hat: „Zumindest kommen am Freitag mehr Menschen als sonst.“

Auch die Herkunft der Lebensmittel spiele eine große Rolle. Die meisten Produkte stammen aus dem Umland von Bremen, etwa vom Hof Steding in Bassum. Einzig Kurkuma, Zitronen, Ingwer und Bananen importiere er von außerhalb Deutschlands.

Dadurch, dass Sawatzki seine Produkte nicht einzeln, sondern in großen Gebinden einkauft, erhält er Rabatte und kann seine Waren günstiger anbieten als etwa Bio-Discount-Ketten. Zudem können die Kunden hier viel bedarfsgerechter einkaufen. „Viele Leute bringen ihre Rezepte mit und kaufen nur exakt die Mengen, die sie für ihre Mahlzeit benötigen.“ So staue sich daheim nichts an und man zahle nur für das, was man braucht.

Konkurrenzdenken zwischen Unverpackt-Läden gebe es nicht, sagt Sawatzki. Vielmehr kooperiert er mit dem Unverpackt-Laden “L’Epicerie Bio“, der ebenfalls in der Bremer Neustadt ansässig ist. „Wir bestellen uns auch mal gegenseitig Produkte“, sagt er. Ganz bewusst hätten beide Läden unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt. So sei „L’Epicerie Bio“ mehr auf französische Produkte spezialisiert und habe demnach ein etwas anderes Sortiment.

Um mehr Kund*innen den Einkauf in seinem Geschäft und damit verbunden eine umweltbewusste Ernährung zu ermöglichen, hat Sawatzki eine Solidaritätskasse eingeführt, in die kaufkräftigere Kund*innen ihr Wechselgeld hineinwerfen können. Einkommensschwächere Menschen dürfen sich im Bedarfsfall aus dieser Kasse bedienen, so der Grundgedanke. Sobald die Solidaritätskasse etwas voller ist, möchte Sawatzki bedürftigen Kund*innen anbieten, 50 Prozent ihres Einkaufs aus dieser Kasse zu bezahlen. Auch Studierende, die einen großen Teil des Kundenstammes ausmachen, sollen künftig noch günstiger einkaufen: Sawatzki plant, ihnen an zwei Tagen in der Woche einen Rabatt von zehn Prozent zu gewähren. Wann das umgesetzt wird, stehe jedoch noch nicht fest.

Die Geschichte des Füllkorns begann vor drei Jahren in Indonesien. Sawatzki, damals noch Biologiestudent, war dort als Umweltschützer aktiv und blickte in die Abgründe einer Wegwerfgesellschaft. „Mit täglich zwei Plastiktüten pro Kopf hatte Indonesien den höchsten Plastikverbrauch weltweit“, erinnert sich Sawatzki. In einer Kunstausstellung sah er Staudämme aus Plastikmüll und Seen, die als solche nicht mehr zu erkennen waren.

Sawatzki machte sich auf die Suche nach „Alternativen zum konventionellen Konsum“, wie er sagt. Mit Hilfe privater Investoren gelang es ihm schließlich 2018, eine leerstehende Ladenfläche in der Neustadt zu mieten. Einschlägige Erfahrungen im Führen eines solchen Geschäfts hatte Sawatzki nicht, er besuchte lediglich ein Seminar, das der Inhaber eines Mainzer Unverpackt-Ladens anbot.

Aufgrund seiner eigenen positiven Erfahrungen rät Sawatzki umweltbewussten Kund*innen dazu, „die Eröffnung eines eigenen Ladens in Betracht zu ziehen“. Und tatsächlich steht der nächste Unverpackt-Laden in Bremen bereits in den Startlöchern: Am Rande des Bürgerparks soll die „Füllerei Findorff“ eröffnen. Wenn alles nach Plan läuft, ist es zu Beginn des kommenden Jahres so weit.