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Muss man in der Lausitz Nazi werden?

Bei der Dresdner Inszenierung von Lukas Rietzschels Erfolgsroman „Mit der Faust in die Welt schlagen“ gelingt immerhin eine Halbzeit lang eine treffende Schilderung der Szene

Von Michael Bartsch

Eine Warnung scheint vorab angebracht: Wer Lukas Rietzschels Roman „Mit der Faust in die Welt schlagen“ oder gar dessen Bühnenfassung als Erklärstück für den Erfolg der AfD im Osten ansehen möchte, der irrt. Der Westen und ratlose Politiker in der besonders blaubraunen Lausitz wünschen sich zwar solche zurückverfolgbaren Kausalketten, die Ansätze für ein Gegensteuern bieten könnten. Der Erfolg des erst 25-jährigen, bodenständigen Autors mag sich zum Teil damit erklären lassen. Doch ein direkter Zusammenhang zwischen der beschriebenen Nazi-Jugendgang im Sorbenland und den objektivierbaren Lebensbedingungen „Keine Sparkasse mehr, kein Bäcker, keine Apotheke, kein Arzt“ wird erst auf Seite 297 kurz vor Ende des Romans hergestellt, und zwar von einem Dresdner Pegida-Redner. Der Niedergang der Infrastruktur und der Verlust der Erwerbsmöglichkeiten aber begann schon vor mehr als 25 Jahren!

Journalistische Recherchen bestätigen ebenso wie der Sachsen-Monitor, dass sich die strammen AfD-Wähler in den ländlichen Räumen gar nicht so abgehängt fühlen. Ihre Drift nach rechts außen lässt sich kaum noch rational und nur mit gefühlten Ressentiments, Ängsten und völliger Orientierungslosigkeit begründen. Auch bei Lukas Rietzschel ist diese Sinnleere spürbar. Dass sie aber folgerichtig in chauvinistische Gewaltbereitschaft münden muss, ist weder im Roman noch in der vom Autor selbst mitgestalteten Bühnenfassung am Dresdner Staatsschauspiel erhellend. Die suboptimalen Lebensbedingungen in der Lausitz treten vielmehr hinter die austauschbaren Generationen-, Erziehungs- und Beziehungskonflikte zurück, wie sie ebenso in wohlstandsverwahrlosten Milieus anzutreffen sind.

Woher rührt dann die spezielle Anfälligkeit der Heranwachsenden hier gegenüber dem alten Nazigeist? Weil der Sozialismus so schlimm war und die Vorbilder der Großelterngeneration diskreditiert sind? Diese Jungs zeigen besonders in der Bühnenfassung doch auch ihren weichen Kern und eine latente Sehnsucht nach archaischen Geborgenheiten und Harmonien! Man kann sie trotz ihrer Anschläge und Gewalttaten gar nicht in toto verurteilen, und Autor Rietzschel tut das auch nicht. Empathie des Lesers oder Zuschauers sei durchaus gewollt, erklärt er in diversen Interviews.

Diese wertungsfreie, in lakonischem Deutsch gehaltene Beschreibung der Verhältnisse, unter denen die Brüder Tobias und Philipp aufwachsen, begründet allein noch gar nichts. Fast eine Stunde lang leidet der Dresdner Spielzeitauftakt unter den gleichen Problemen wie die meisten Roman-Adaptionen. Viele erzählende und berichtende Passagen statt Szene, der Rest des Personariums steht am Rand und hört zu. Wo bleibt das Aufschreckende, fragt man sich zeitweise, denn Entfremdungen von Partnern beim Hausbau und frustrierende Familienrituale gibt es nicht nur in der gebeutelten Kohleregion.

Dann schleichen sich Alarmsignale ein, die Aufschrift „Jude“, die Absicht eines Schülers, eine Lehrerin umzubringen. Da ist die subtile Faszination des Verbotenen, das Hakenkreuz, der Hitlergruß. Woher diese Affinitäten rühren, was für die Brüder gar die Einstiegsdroge in die von Menzel geführte Clique bildet, kann nur vermutet werden. Die niederländische Regisseurin Liesbeth Coltof legt in ihre Inszenierung auch nicht mehr hinein, als die Romanvorlage bietet.

Das Innenleben der Clique wird packend geschildert

Nach etlichen Längen gewinnt die Bühnenfassung dann noch vor der Pause an Intensität. Das Innenleben der Clique, ihre gruppendynamischen Prozesse, der dem verhassten eigenen Befinden entspringende Hass auf die Sorben, die „Polacken“ und andere Ausländer werden packend geschildert. Brandanschläge, Prügelattacken, die Provokation mit Schweinekadavern vor einem Flüchtlingshaus bieten deftiges Theater.

Die fünf Männer, sonst auch in Mehrfachrollen der älteren Generation agierend, sind hier ganz ungestüme Jugend, leben eine geradezu animalische, unkanalisierte Energie aus. Alle sieben Spielerinnen und Spieler verdienten eine Nennung, erwähnt werden sollen Tillmann Eckardt als Tobias und Daniel Séjourné als Philipp. Obschon die rechte Szene kein Beispiel einer weiblichen Führungs­figur kennt, gibt Ursula Hobmair den im Roman männlichen Anführer Menzel. Der Sinn dieser „Hosenrollen“-Besetzung erhellt nicht, zumal sie männlich-radikaler spielt als die knetbaren Jungs.

Guus van Geffen, ebenfalls Niederländer, hat eine einfache Bühne gebaut, die mit viel Fantasie an die Hänge eines Braunkohletagebaus erinnert. Das eifrig genutzte Planschbecken in der Mitte symbolisiert den daraus entstandenen See. Wie in manchem Nazi-Stück wird am Schluss auch ein gewisser Sog der Bürgerlichkeit spürbar. Es gibt einen Ausweg aus diesem Provinzkomplex, durch Ausbildung anderswo, durch Arbeit vor Ort. Die Clique bröckelt. Zumindest eine Halbzeit lang ist in Dresden eine treffende Schilderung der Szene zu erleben. Schlüsse muss man selber ziehen.

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