Erdogan nimmt sich der Kurdenfrage an

Türkischer Premier empfängt erstmals Gruppe von Verfassern einer Petition zur friedlichen Lösung der Kurdenfrage

ISTANBUL taz ■ Zum ersten Mal hat der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan gestern einige der Mitunterzeichner einer Petition zur Lösung der Kurdenfrage empfangen. Darin werden sowohl die illegale Kurdische Arbeiterpartei (PKK) als auch der Staat „zur Beendigung der Gewalt und zur Suche nach einer friedlichen Lösung der Kurdenfrage“ aufgerufen.

Erdogan hörte sich drei Stunden lang die Lösungsvorschläge der Delegation, der auch die Schriftstellerin Adalet Agaoglu oder Yilmaz Ensarioglu vom islamischen Menschenrechtsverein Mazlum-Der angehörten, an: Zum Beispiel war die Rede von der Senkung der Wahlhürde von 10 auf 5 Prozent, damit die kurdische Hadep ins Parlament kommt, oder von der Gründung eines Kurdologie-Instituts in Diyarbakir als symbolischer Akt der Anerkennung der kurdischen Identität. Das Militär solle mit seinen Operationen aufhören und die PKK die Waffen niederlegen. Zu kurzen Haftstrafen verurteilte PKK-Kämpfer, von der Presse als „light terrorists“ bezeichnet, sollten begnadigt und der Dialog mit den kurdischen Bürgermeistern der Region intensiviert werden.

Erdogan hatte vor zwei Monaten auf einer Norwegenreise das Kurdenproblem als „virtuelle Frage“ bezeichnet. Gestern beteuerte er in einer live von allen TV-Sendern übertragenen Rede, „die so genannte Kurdenfrage im Rahmen der allgemeinen Demokratisierung“ lösen zu wollen.

Was er von den Vorschlägen hält, zeigt das Programm seiner Reise in die Kurdenmetropole Diyarbakir, die er heute nach viermaliger Verschiebung antritt. Ein Besuch beim Oberbürgermeister Osman Baydemir steht trotz Kritik nicht auf dem Plan. So wird der Premier, der noch nie eine originelle Idee zur Lösung der Kurdenfrage hatte, nach einer Begrüßung durch Baydemir das klassische Programm abspulen. Dazu gehört die Einweihung von Wohnsilos für entwurzelte Kurden am Stadtrand von Diyarbakir. Bei einer Kundgebung will Erdogan die Kurden aufrufen, dass „sie sich durch keine Terrororganisation vertreten lassen“ dürfen.

Baydemir hatte bis zum letzten Moment auf eine Einladung aus Ankara gewartet, diese blieb jedoch aus. Gemeinsam mit 57 anderen kurdischen Bürgermeistern listete Baydemir, den die Istanbuler Medien wegen „PKK-Nähe“ kritisieren, auf einer Pressekonferenz die Probleme seiner Region auf: Arbeitslosigkeit, explodierende Kleinkriminalität wegen Armut, Kinderarbeit und fehlende Infrastruktur. Was er nicht offen aussprach, sagen kurdische Poitikerinnen wie Leyla Zana seit geraumer Zeit. Sie lehnen einen Minderheitenstatus in der bestehenden Türkei ab und fordern einen neuen, türkisch-kurdischen Bundesstaat.

Derweil eskaliert der Krieg zwischen PKK und Armee. Vor drei Tagen wurden in Hakkari wieder zwei Soldaten durch Minen getötet, die PKKLer gelegt hatten. Die Armee verlangt, in der Region erneut den Ausnahmezustand zu verhängen. „Ohne diese Eskalation hätte Erdogan seinen Diyarbakir-Besuch zum fünften Mal verschoben“, kommentieren die Kolumnisten.

DILEK ZAPTCIOGLU

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