„Ölpreis ist reine Mathematik“

Ölspekulant Wiesmann hat ein einfaches Rezept: Er folgt den Erkenntnissen des mittelalterlichen Mathematikers Fibonacci. Ergebnis: Spätestens im Januar wird Öl nur noch 55 US-Dollar kosten

INTERVIEW ULRIKE HERRMANN

taz: Herr Wiesmann, Ende Juni haben sie in der taz prognostiziert, dass das Rohöl in spätestens acht Wochen auf einen Barrelpreis von 65 US-Dollar steigen würde. Das hat sich bestätigt. Worauf spekulieren Sie nun?

Otto Wiesmann: Ich bin auf „Short“ gegangen, setze also ganz eindeutig auf fallende Kurse. Der Rohölpreis wird auf 53 bis 55 Dollar sinken.

Ist das nicht etwas sehr mutig, sich so eindeutig festzulegen?

Nein, das lässt sich aus den Fibonacci-Zahlen ableiten.

Fibonacci war ein italienischer Mathematiker, der 1170 geboren wurde. Was hat er mit den Ölpreisen des 21. Jahrhunderts zu tun?

Es ist komisch, aber die Börsenkurse folgen seinen Zahlen.

Rechnen Sie doch mal vor.

Das ist für Laien sehr schwer zu erklären. Aber gut. Im April 2005 hatten wir ein Ölpreishoch von 58,20 Dollar, im Mai dann ein Tief von 46,20 Dollar. Das macht also 12 Dollar Unterschied. Diese Differenz muss man mit der Fibonacci-Zahl 1,618 multiplizieren und zum Tiefpreis hinzu addieren. Das Ergebnis sind dann runde 65 Dollar.

Aha. Und jetzt?

Nun kommt die technische Reaktion. Auch dafür gibt es Fibonacci-Zahlen. Oft handelt es sich um eine „61,8-Prozent-Korrektur“. Das müssen Sie so rechnen: Zwischen dem letzten Tief und dem jetzigen Hoch liegen 19 Dollar, davon 61,8 Prozent sind etwa zehn Dollar. Die müssen sie nun abziehen.

Wann wird der Preis bei 55 Dollar sein?

Spätestens zwischen November und Januar. Es kann aber auch schon in drei Wochen sein. Allerdings gibt es immer das Restrisiko von politischen Ereignissen – wie etwa in Saudi-Arabien oder im Iran.

Wenn alles nur Fibonacci und ein bisschen Iran ist – warum gibt es dann noch unterschiedliche Kurserwartungen?

Wieso unterschiedlich? (lacht) Alle kennen die Fibonacci-Zahlen und viele richten sich danach. Auch deswegen ist es ja so sicher, auf fallende Ölpreise zu setzen.

Bleibt der Preis bei 55 Dollar?

Natürlich nicht. Es geht um eine kurzfristige Korrektur. Langfristig werden die Ölpreise weiter steigen. Denn die Nachfrage nimmt zu – und das Angebot wird knapp. Es gibt zu wenig Raffinerien, zu wenig doppelwandige Öltanker, zu wenig Pipelines. Und die bekannten Ölreserven reichen sowieso nur noch 20 bis 35 Jahre. In den nächsten drei bis vier Jahren wird der Normalpreis bei 100 Dollar liegen.

Heizölkunden sind schon jetzt schockiert. Was raten Sie?

Wer seine Tanks noch füllen muss, sollte sie halb leer lassen – damit er zu niedrigeren Preisen im November nachkaufen kann.