Weißer Unglaube

GEISTERSTUNDE Alles wird übersetzt und manches verändert sich dabei. „7 % Hamlet“ von Monika Gintersdorfer im Deutschen Theater

Das Andere wird in seinem Anderssein belassen und dadurch auch in seiner Irritationskraft erhalten

Bekanntlich ist es eine Geistererscheinung, die den ohnehin in heiklem Gemütszustand befindlichen Dänenprinzen Hamlet vollends aus der Fassung bringt. Die Auftritte des untoten Vaters von Hamlet machen allerdings nur einen Bruchteil des Shakespeare’schen Großklassikers aus. „7 % Hamlet“ heißt folgerichtig der neue Abend von Monika Gintersdorfer, der den Geisterauftritt zum Ausgangspunkt nimmt. Gintersdorfer ist eine der derzeit gefragtesten Theatermacherinnen der freien Szene, die bisher vor allem auf Kampnagel Hamburg oder in den Sophiensaelen produzieren konnte. „7 % Hamlet“ ist ihre erste Inszenierung in der Box des Deutschen Theaters. Wieder dabei ist ihr Stammperformer, der ivorische Tänzer, Sänger und Choreograf Franck Edmond Yao. Und wie gewohnt spricht er Französisch und wird dabei von einem Mitspieler „übersetzt“. Diesmal übernimmt das der Schauspieler vom Deutschen Theater, Bernd Moss.

Immer wieder werden in diesem umfassenden Übersetzungsprozess aber auch die Haltungen, Bewegungen, Gesten des Spielpartners übernommen. Es sind Spiegelungen, die nicht auf Angleichung zielen, sondern beständig auf die Verschiedenheit verweisen – so hat man mit diesem ungleichen Paar eine permanente Differenzbehauptung leibhaftig vor Augen. Moss tritt im Casual-Look auf, Yao in Stiefelhosenuniform, die Militär- und Kolonialstilassoziationen weckt. Zu Anfang fixiert Moss einen Punkt über den Köpfen der Zuschauer und bittet den Geist des alten Hamlet mit Horatios Worten um Antwort. Während er dabei zurückhaltend schaudert, geht Yao direkter zur Sache, Befehls-O-Ton: „Komm her! Willst du eine geknallt kriegen? Red mit mir!“

Geister, Magie und Mystik sind das Leitthema des Abends. Yao weiß, „dass ihr Weißen nicht wirklich glaubt“, erzählt von Fetischeuren, die ohne Geld keinen magischen Finger krümmen, während Hexer immer nur „das pure Schlechte“ tun. Moss räumt hingegen ein, nur so „ungefähr“ zu glauben, also vornehmlich in brenzligen Situationen.

Wie bei Monika Gintersdorfers viel beachteter Inszenierung „Othello c’est qui“, die im Frühjahr auf Kampnagl uraufgeführt wurde, ist der „Hamlet“-Text vor allem Sprungbrett für eine Abklopfung des Stücks auf persönliche Anknüpfungspunkte der Performer hin. Nur sporadisch gleitet Moss in Shakespeare’sche Monologfetzen hinüber, die ihm unangestrengt beiläufig über die Lippen gehen. „Den Geist, den ich gesehen, das könnt ein Teufel sein“, zweifelt er, „ich brauche Grund, der sichrer ist“ – auch so ein Schlüsselsatz, in dem Yaos afrikanische Mystik plötzlich ganz nah bei Shakespeare zu sein scheint und sich gleichzeitig der „Sein oder nicht sein“-Mensch als der paradigmatische weiße Mann entpuppt.

Die Antinomien – „ihr Weißen“ und „wir Schwarzen“ – werden auch in ihren Klischeeanflügen einfach nebeneinander gestellt und mit latent staunender Grundhaltung die Positionen des jeweils anderen zur Kenntnis genommen – eine vorläufige Bestandsaufnahme der Unterschiede. Erstmal wissen wollen, wie das Gegenüber tickt. Das Andere wird in seinem Anderssein belassen und dadurch auch in seiner Irritationskraft erhalten. So ist dieser unprätentiöse Siebzigminüter vielleicht die spannendste Arbeit des angebrochenen DT-Saisonstarts. Und ein Aufbruch ins Unbekannte, mit dem sich erstmals sein Spielzeit-Versprechen einlöst. ANNE PETER

■ „7 % Hamlet“. Wieder am 16., 17., 18. Oktober in der Box des Deutschen Theaters