der rote faden: Das zeitweilige Bündnis zwischen Elite und heißer Luft
Durch die Woche mit Ulrich Gutmair
Es gibt Dinge, die ändern sich einfach nicht. Zum Beispiel das ungeklärte Verhältnis der Fahrradfahrer zur Rechts-vor-links-Regel. Ich bin auch Fahrradfahrer, seit Jahrzehnten schon, und deswegen nah an diesem Problem dran. Viele Fahrradfahrer*innen, hier ist Gendern angezeigt, scheinen die Grundregel des Straßenverkehrs nicht zu kennen oder vor lauter Fahrradfahrer*innenstolz zu vergessen, sobald sie im Sattel sitzen. Hallo, hier komm ich! Ich fahr Fahrrad, mache Yoga und esse vegan! Und wenn jemand von rechts hupt, ist er ein dummer Sack!
Das andere, was sich partout nicht ändern will, ist der Bürgerlichkeitsfetisch im Lande, besonders unangenehm auffallend im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Die AfD stellt sich gern als „bürgerlich“ dar. Und es findet sich immer ein Journalist, der ihr das bestätigt. Bürgerlich zu sein heißt aber nicht, einen Anzug mit Hemd und Krawatte zu tragen. Bürgerlichkeit ist ein ökonomisch-habitueller Zusammenhang und hatte einst sogar was mit humanistischer Bildung und einem revolutionären Drang zu tun.
Wenn ich heute die Damen und Herren sehe, die mit qeschwellter Brust ihre Bürgerlichkeit vor sich her tragen, frage ich mich, was sie damit meinen. Ob sie als gute Protestanten denken, dass es sich dabei um eine Tugend handle, für die sie dereinst ein paar Extraflugmeilen auf dem Weg ins Paradies zugesprochen bekommen?
Vor zweihundert Jahren war das Bürgertum die avantgardistische Klasse, die unternehmerischen Geist mit einer aufklärerisch-liberalen Gesinnung verband. Die französischen Bürger hatten sich Liberté, Egalité und Fraternité auf die Fahnen geschrieben, die deutschen Bürger immerhin Einigkeit und Recht und Freiheit, auch wenn die Reihenfolge ihrer Forderungen – die Freiheit kommt immer zuletzt – schon ahnen ließ, wohin die Reise gehen würde. Hundert Jahre später zeigten die Bürgerlichen ihr hässliches Gesicht. Wo immer sich die Fratzen des Chauvinismus und später des Faschismus zeigten, waren viele von ihnen, ob aus Überzeugung oder Opportunismus, freudig dabei.
Viele deutsche Bürger hassten die Weimarer Republik, und viele von denen, die sich noch heute gern als bürgerliche Elite betrachten, die Ärzte, die Juristen und so weiter, traten in die NSDAP ein, weswegen es schon historisch keinen Sinn hat, so zu tun, als sei „Bürgerlichkeit“ der Antipode zu Radikalismus jedweder Couleur. Für Hannah Arendt „beruhte das zeitweilige Bündnis zwischen Elite und Mob weitgehend auf dem echten Vergnügen, das der Mob der Elite bereitete, als er daranging, die Respektabilität der guten Gesellschaft zu entlarven, ob nun die deutschen Stahlbarone den ‚Anstreicher Hitler‘ empfingen oder ob das Geistes- und Kulturleben mit plumpen und vulgären Fälschungen aus seiner akademischen Bahn geworfen wurde“.
Im Feld des Politischen ist „Bürgerlichkeit“ heute ein ähnlich leerer Signifikant wie die „Mitte“. Politisch bedeutungsvoll ist der Begriff des Demokraten. Abenteuerlich wird es, wenn Politiker und Journalisten heute noch von den „bürgerlichen Parteien“ sprechen und damit sagen wollen, dass sie nicht die SPD, die Linke und die Grünen meinen. Die Sozialdemokraten verstanden ihre Partei traditionell als Interessenvertreterin der arbeitenden Menschen, traten anfangs für die Überwindung der bestehenden Produktionsverhältnisse ein und sind also per definitionem nicht bürgerlich gewesen.
Das lasse ich mir eingehen, obwohl mir ein Mann wie Helmut Schmidt immer wie ein bürgerliches Top Model erschienen ist, und zwar nicht wegen seines Dreiteilers. Aber die Grünen? Die sind heute vielleicht die bürgerlichste Partei von allen, im Guten wie im Schlechten.
Wo wir bei den Grünen sind: Diese Woche war auch die Woche des angekündigten Desasters, das sich „Energiewende“ nennt. Auch typisch deutsch: Statt von Revolution sprechen wir lieber von „Wende“. Klingt wahrscheinlich bürgerlicher. Wenn wir als planetarische Gesellschaft das Ziel erreichen wollen, das wir müssen und das sich in 1,5 Grad Celsius Erderwärmung bemessen lässt, gilt es radikal und schnell zu handeln und dabei an einem Strang zu ziehen. Stattdessen steht der Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland still, weil starke Bürgerhand es will. Am Montag sprach in der taz-Kantine Luisa Neubauer von Fridays for Future mit EnBW-Chef Frank Mastiaux. Dieser übermittelte die Hiobsbotschaft, die bei Peter Altmaiers Windgipfel am Donnerstag nur wiederholt wurde: Der Bau neuer Windräder an Land ist quasi zum Erliegen gekommen.
Das juckt jene Bürgerlichen nicht, die zur Krawatte einen Aluhut tragen und nichts Besseres zu tun haben, als hämische Kommentare zum „Kinderkreuzzug“ von Greta Thunberg in die sozialen Medien zu pusten. CO2 entsteht auch beim Atmen, ja. Für die Klimakrise ist aber anderes entscheidend: Beim Sprechen entsteht oft heiße Luft.
Nächste Woche: Ebru Taşdemir
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen