„Das Opernhaus ist sowieso interkulturell“

DER INTEGRATOR Seit gut einem Jahr ist Mustafa Akça „Dramaturg für besondere Aufgaben“ an der Komischen Oper. Der 39-Jährige soll die Brücke schlagen zwischen Hochkultur und türkischstämmiger Community. Akça, gelernter Klempner, hat als Entertainer auf einem Kreuzfahrtschiff gearbeitet und als Sozialarbeiter in der Gropiusstadt. Seine Vorbilder, sagt er, waren seine Lehrer oder die Eltern von Freunden

■ Der Berliner: Mustafa Akça ist türkischer Berliner. Der 39-Jährige ging in Kreuzberg zur Schule und wohnt weiterhin gern dort. Er war Klempner, Schauspieler, Quartiersmanager, Coach für interkulturelle Kompetenzen, Gründer der Straßenfußballliga „Berlin bolzt“. Nun ist er Dramaturg an der Komischen Oper.

■ Der Netzwerker: Mustafa Akça kennt jeden. Und wenn nicht, dann kennt er welche, die den- oder diejenige kennen. Sein Netzwerk, welches er sich durch seine verschiedenen Jobs aufbaute, reicht über die deutsche und türkische Community hinaus.

■ Der Fußballfan: Als Junge spielte er auf vielen Bolzplätzen in Kreuzberg, als Quartiersmanager erfand er 2006 die Liga für die Straße. Infos: bolzplatzliga.org

■ Der Projektleiter: 2011 startete die Komische Oper im Rahmen des Projekts „Türkisch. Oper kann das!“ mit einer Reihe von Neuerungen, um das türkischsprachige Publikum anzusprechen. In der neuen Spielzeit, die diesen Monat beginnt, wird die erste deutsch-türkische Kinderoper „Ali Baba und die 40 Räuber“ in den Spielplan aufgenommen. Uraufführung ist am 28. Oktober.

INTERVIEW EBRU TASDEMIR
FOTOS AMELIE LOSIER

taz: Herr Akça, Sie waren der erste „Türke“ an der Komischen Oper.

Mustafa Akça: Ja, zuerst verpflichtete man mich und dann den Komponisten Taner Akyol. In der kommenden Spielzeit beginnt der Opernsänger Tansel Akzeybek. Damit sind wir schon drei. Aber stolz bin ich schon, dass ich der Erste war.

Seit mehr als einem Jahr sind Sie „Dramaturg für besondere Aufgaben“. Was soll man sich darunter vorstellen?

„Dramaturg für besondere Aufgaben“ heißt in diesem Fall: Ich schaffe Anlässe für Begegnungen, gerne auch unkonventionelle. Durch meinen Background kenne ich viele soziale und kulturelle Projekte und Einrichtungen. Da schauen wir als Komische Oper, ob es Synergien gibt und ob wir gemeinsam Projekte stricken können.

Nennen Sie doch mal ein Beispiel.

Die Musiktheaterpädagogik. Wir veranstalten Workshops mit türkischen Müttern, bei denen Opernstücke anhand von szenischen Interpretationen, zum Beispiel in Form von Rollenspielen, vermittelt werden. Das findet in einem geschützten Raum statt, fördert die Sprachvermittlung und stärkt die sozialen Kompetenzen. Dieser Ansatz bringt für beide Seiten etwas; die Leute werden neugierig auf das, was wir machen. Es ist ein niedrigschwelliges Angebot, das allen Spaß macht.

So wie jüngst das Casting für türkischstämmige Kinder.

Die Idee, dass türkischsprachige Kinder im Chor singen, kam von der Oper. Unter anderem, weil wir in dieser Spielzeit die deutsch-türkische Kinderoper „Ali Baba und die 40 Räuber“ aufführen.

Welche Kinder kamen zum Casting: der Nachwuchs der Gutsituierten, der eh zum Klavierunterricht geschickt wird?

Das war eine gute Mischung. Wir haben gesagt: „Wir suchen die Stars von morgen.“ Da kam mir dann mein Netzwerk wieder zugute. Wir haben den Aufruf in viele Kanäle gegeben – zum Beispiel auf die Internetseiten der Quartiersbüros gesetzt – und ganz viele Familien kamen aus den „Gebieten mit besonderem Entwicklungsbedarf“. Den Familien fehlen nämlich oft die Informationen zu solchen Angeboten. Wir hatten über 60 Anmeldungen. Für die Hälfte gab es einen Platz im Chor. Das Tolle ist: Die Kids kriegen eine kostenlose professionelle Gesangsausbildung.

Finden Sie nicht, dass das auch etwas Abwertendes hat? Im Sinne von: „die armen Türken“, denen wir die Hand reichen und westliche Hochkultur näherbringen?

Nein, finde ich nicht. Die Türken sind vor Ort und wollen auch. Und nebenbei bemerkt: Sie haben schon seit Jahrhunderten eine Hochkultur! Nur eine andere als hierzulande. Das Opernhaus ist vor und hinter der Bühne sowieso interkulturell. Wenn es jetzt ein Haus nur mit Deutschen wäre, und ich wäre der einzige Türke – dann vielleicht schon.

War das eine Reaktion auf die Integrationsdebatte in Deutschland?

Die Idee hatte unsere Geschäftsführerin schon vor dieser für mich unerträglichen Debatte. So etwas kann man nicht ohne Vorlauf umsetzen. Ein anderes Beispiel: Die Texte laufen während der Vorführung über Displays auf den Sitzrücken. Und alle Opern wurden nun ins Türkische übersetzt. So können die Menschen in ihrer Herkunftssprache mitlesen und sich etwas besser in das Geschehen einfühlen. Vor allem für Menschen, die eher weniger Zugang zu der Oper hatten und haben, ist das ein echtes Angebot, um zu sagen: „Wir nehmen euch ernst.“

Und was versprechen Sie sich konkret von „Selam Opera“, dem türkischen Projekt der Komischen Oper in dieser Spielzeit?

Dass es bisher unentdeckte und ungenutzte Ressourcen und Energien aus allen BerlinerInnen hervorlockt – denen türkischer Herkunft und langfristig jeglicher Herkunft.

Was ist das Besondere an Ihrer Arbeit?

Sie ist nicht steif. Ich finde die Komische Oper authentisch und aktuell. Damit kann ich mich identifizieren. Das ist auch das Wichtigste, wenn ich ein anderes Publikum als das traditionelle ansprechen will.

Eine der Lieblingsfragen, die Migrantenkindern gestellt werden, lautet: Wo kommst du her?

Mein Vater kommt aus Yozgat in Mittelanatolien und meine Mutter aus Çorum nahe dem Schwarzen Meer.

Das antworten Sie bei türkischstämmigen Neugierigen. Und wenn Nichttürken fragen?

Dann sag ich: „Ich bin Berliner.“ Das Seltsame dabei ist, dass, je älter ich werde, desto öfter kommt die Frage. Mittlerweile ärgert mich das ein bisschen. Da sitzt man in großen Runden, um Projekte für die nichtdeutschen Berliner zu schmieden. Irgendwann fragt dann jemand, wer in der Runde eigentlich Berliner sei. Und dann bist du der Türke, der sich als Einziger meldet und sagt: „Ich bin ein Berliner, ich kenn mich hier aus, und in der Szene vernetzt bin auch noch.“

Weshalb ärgert Sie das?

Weil ich mich frage, was wäre, wenn ich jetzt nicht Mitglied dieser Runde wäre. Dann würden diese Menschen, die es zwar gut meinen, aber nicht von hier sind, Dinge konzipieren für Leute, die hier leben. Ich maße mir ja auch nicht an, nach Istanbul zu gehen, und dort in einem Bezirk etwas für die Istanbuler Kids zu machen. Nur weil ich Türke bin, qualifiziert mich das noch nicht.

Wann kommt der Türke stärker zum Tragen und wann der Berliner?

Kommt drauf an. Wenn ich emotional reagiere, dann bin ich eher Türke, zum Beispiel in persönlichen Beziehungen. Der Ausdruck, wenn es um Gefühle geht, ist bei den Türken noch einmal anders. Es geht ums Sterben, um Herzschmerz, Leidenschaft, Liebe und Trennung … intensiver, als wenn es die Deutschen darstellen würden. Die Deutschen sind sachlicher.

Sind Sie mit der Oper aufgewachsen?

Na ja. Die großen Gefühle und Dramen in Musik zu gießen, ist mir natürlich aus der türkischen Kultur vertraut (lacht).

Haben Sie eine Lieblingsoper?

„Die Liebe zu den drei Orangen“ von Sergej Prokofjew. Wegen der Wehleidigkeit des Prinzen, das absolute Gegenteil von mir.

Sie sind ja ein klassisches Gastarbeiterkind.

In Kreuzberg aufgewachsen und zur Schule gegangen. Meine Oma ist als ausgebildete Krankenschwester in den 60er Jahren nach Deutschland gekommen und hat ihren Mann, also meinen Opa, und die Söhne nachgeholt. Ich bin hier geboren und zähle somit zur dritten Generation.

Wie wurden Sie Dramaturg?

Über viele Umwege. Mein Mathelehrer legte mir in der Oberschule nahe, eine handwerkliche Ausbildung zu machen, dass präge den Charakter. Ich habe eine Lehre als Gas-Wasser-Installateur gemacht und an der Fachhochschule Energie-und Versorgungstechniker studiert. Wenn ich jetzt arbeitslos werden sollte, könnte ich auch wieder als Handwerker arbeiten.

Warum haben Sie sich damals für solch eine handfeste Ausbildung entschieden?

Bei meinen Eltern war das so: Die haben sich unter Studium oder Projektarbeit nichts vorstellen können. Wenn du aber gesagt hast, du bist Kfz-Mechaniker oder Klempner, war das greifbarer. So gehen sie raus und sind stolz auf dich. Es war hart während der Ausbildung, aber ich habe verstanden, was mir die Lehrer mit dem Satz: „Mach was Anständiges“ sagen wollten. Wenn ich heute Stress im Job habe, denke ich kurz an meine Ausbildungszeit zurück und bin wieder zufrieden.

Als Klempner ging es dann auf die Schauspielschule. Haben Sie denn je als Schauspieler gearbeitet?

Ich wurde vom Fleck weg engagiert. Echt jetzt! Eine Frau sprach mich an, wo man in Berlin weggehen könne; ich habe ihr alles aufgezählt. Das muss ihr gut gefallen haben, denn sie lud sie mich ein, auf dem Kreuzfahrtschiff „Aida“ als Schauspieler und Entertainer zu arbeiten. Sie war dort Managerin. Ich hab dann tolle neue Sachen gelernt wie zum Beispiel Shows moderieren und Standardtanz.

Sind Sie viel herumgekommen?

Schon. Karibik, Kuba, DomRep. In Europa war ich überall, wo es einen Hafen gab.

Das schlaucht doch bestimmt.

Klar. Und die Sehnsucht nach Berlin war zu groß. Über die Kontakte auf dem Schiff habe ich einen Job in Berlin bekommen. Als „Warm-Upper“ im Fernsehen.

Klingt spannend.

Ich hab beim Fernsehen das Publikum auf die bevorstehende Show vorbereitet und eingestimmt. Bei Michael Schanze, Jörg Pilawa, Karl Dall und Hape Kerkeling. Zum Glück bekam ich bald ein Angebot von einem sozialen Träger.

Vom Entertainer zum Sozialarbeiter?

Bekannte fragten mich, ob ich mich für das „QM“ bewerben wolle. Dann habe ich erst mal alles über Qualitätsmanagement gegoogelt. Als ich schließlich im Bewerbungsgespräch saß, wurde auf einmal über „Quartiersmanagement“ geredet. Das klang aber viel spannender als das, was ich mir durchgelesen hatte. Heinz Buschkowsky, der Neuköllner Bürgermeister, hat sich angehört, was ich bisher gemacht hatte. Als er hörte, dass ich Klempner war und auf einem Kreuzfahrtschiff gearbeitet habe, meinte er nur trocken: „Solche Leute wie Sie brauchen wir hier.“

„Ich hatte schon als Jugendlicher immer mit Jüngeren Fußball gespielt. Später habe ich gemerkt, dass ich als Vorbild fungierte“

Sie haben dann in Neukölln gearbeitet?

In der Gropiusstadt bin ich vier Jahre geblieben. Aufgabe des Quartiermanagers ist ja, mit Bewohnern und Schulen, Vereinen, Institutionen und Wohnungsbaugesellschaften Projekte zu realisieren, die das Gebiet liebens- und lebenswerter machen.

Diese Projekte sind mitunter ganz schön schnarchig.

Sehe ich nicht so. Mein Lieblingsprojekt war direkt als Idee im Bewerbungsgespräch geboren. Buschkowsky fragte mich damals, welches Projekt ich denn gern initiieren würde, und mir fiel ad hoc „Häkeln und Mäkeln“ ein. Für Frauen, deren Kinder in der Schule sind und die Abstand von ihrem Mann brauchen. Unter dem Deckmantel der Handarbeit konnten sie sich über Themen wie Gesundheit, Politik und Erziehung unterhalten. Ich lud Experten dazu ein.

Sie wurden also doch etwas, was Ihre Eltern nicht verstanden haben: Sozialarbeiter.

Ich wollte eigentlich nie im sozialen Bereich arbeiten. Sozialpädagogik ist für mich Hinsetzen und Probleme am grünen Tisch ausdiskutieren. Das hätte nicht zu mir gepasst. Aber ich hatte schon als Jugendlicher immer mit den Jüngeren auf dem Bolzplatz Fußball gespielt. Viel später habe ich gemerkt, dass ich als Vorbild fungierte, indem ich ihnen meine Zeit schenkte. Das war gelebte soziale Arbeit, ohne etwas Soziales studiert zu haben.

Aus dem Fußballspielen im Privaten ist ein großes soziales Projekt geworden.

„Berlin bolzt“ heißt es. Das Erste war, was ich mir gedacht habe bei diesem „QM“, war: „Wow, wir haben Geld, es gibt Bedarf. Wenn du Fußball sagst, kommen alle.“ Dann haben wir die größte private Fußballfreizeitliga auf die Beine gestellt. Es sind jetzt 800 Kinder in dem Projekt. Und ganz viele Mädchenmannschaften. Darauf bin ich sehr stolz.

Finden Sie es nicht seltsam, dass heute alles angeleitet wird? Früher spielten wir einfach auf der Straße. Das war auch Integration. Weil alle miteinander spielten, egal ob groß, klein, türkisch oder deutsch.

Die Straße ist kein Spielraum mehr. Früher wurden wir auf den Plätzen von den Großen verjagt. Bei der Bolzplatzliga spielen die Großen mit den Kleinen. Die Wertigkeit dieses Projekts ist unermesslich.

Welche Vorbilder hatten Sie?

Meine Vorbilder waren meistens meine Lehrer oder die Eltern meiner Freunde. Damals war die Hemmschwelle, zu einer türkischen Familie hinzugehen, viel niedriger. Der Vater eines Freundes hat mich damals in den Fußballverein mitgenommen. Weil das für die Eltern selbstverständlich war, den Jungen mitzunehmen.

Warum hat sich das so sehr verändert?

Das würde ich auch gerne wissen. Es wird alles kleinkarierter, viel hinterfragter. Man beschäftigt sich zu sehr mit dem, was schiefgehen könnte. Ich verstehe einige Ängste schon, aber viele auch nicht. Ich verstehe nicht, warum man nicht zu seinem Nachbarn hingehen kann und so ganz banale Sachen fragt: „Hey, vielleicht hat dein Sohn auch Lust, das zu machen“, egal, ob die Deutschen auf die Türken zugehen oder umgekehrt … es ist eigentlich ganz einfach.

Fast so wie bei Ihrer Opern-Arbeit.

Ja. Es geht darum, Einladungen auszusprechen.