heute in bremen
: „Eine transnationale Geschichte“

Foto: Manfred Wegener

Doğan Akhanlı, 62 türkischstämmiger Schriftsteller, der seit 1992 in Köln lebt.

Interview Florian Fabozzi

taz: Herzlichen Glückwunsch zur Goethe-Medaille. Inwieweit kann Literatur Ihres Erachtens zur Völkerverständigung beitragen?

Doğan Akhanlı: Es geht mir beim Schreiben nicht in erster Linie um Völkerverständigung, sondern um eine gute Geschichte. Trotzdem ist es mir durch meine Werke gelungen, einen Dialog mit den Nachfolgegenerationen der armenischen Genozidopfer herzustellen.

Wie sind Sie auf die Themen gekommen, die Sie in Ihrem Neulingswerk „Madonnas letzter Traum“ behandeln?

Ich wollte zwei historische Verbrechen miteinander verknüpfen: Die Ermordung des Autors Sabahattin Ali, dessen Werk „Die Madonna im Pelzmantel“ als Vorlage diente, und die Versenkung des jüdischen Flüchtlingsschiffes „Struma“ 1942 vor Istanbul. Ali wurde 1948 an der türkisch-bulgarischen Grenze auf seinem Weg ins Exil von einem Angehörigen des türkischen Geheimdienstes erschlagen. Der Roman legt Ali als letztes Geständnis in den Mund, seine jüdische Romanheldin Maria Puder sei in Wahrheit anders gestorben als in seiner Novelle. Mein Roman deckt nun die „wahre“ Geschichte des Lebens und Todes von Maria Puder auf – als verfolgte Jüdin in der NS-Zeit.

Wie sind Sie darauf gekommen, aus der Liebesgeschichte „Madonna im Pelzmantel“ einen historischen Roman über die Judenverfolgung zu machen?

Maria Puder ist eine jüdische Figur und ich wollte schon länger die Judenverfolgung als eine „transnationale“ Geschichte erzählen, die über den deutsch-jüdischen Fokus hinausgeht.

Wie nah an der Wahrheit ist Ihr neuestes Werk?

Ich habe fast wie ein Historiker über die NS-Zeit in Europa, besonders in Deutschland, in Frankreich, in Polen, in Rumänien recherchiert. Fiktiv sind unter anderem die Figuren Maria Puder und der namenlose Schriftsteller, der im Roman die Novelle Alis liest.

Da sie das Versinken des Flüchtlingsschiffes Struma vor Istanbul 1942 thematisieren, denkt man unweigerlich an die jetzige Situation im Mittelmeer: Wie viel hat ihr Buch mit der Lage vor den Küsten Europas zu tun?

Als ich den Roman geschrieben habe, war die Krise im Mittelmeer noch nicht so präsent. Mit meinem Roman möchte ich vor allem auf die Mitverantwortung und die Ignoranz der Länder hinweisen, die sich bis heute der Verantwortung für die Judenverfolgung während der NS-Zeit entziehen. Die Türkei, die den jüdischen Geflüchteten damals Asyl verwehrte, gehört zu diesen Ländern.

Lesung aus Doğan Akhanlıs neuestem Buch „Madonnas letzter Traum“ im Theater am Goetheplatz, 19 Uhr

Wie wird in der Türkei mit den Geschehnissen umgegangen?

Die Türkei unter der aktuellen Regierung ist nicht bereit, Verantwortung für die Verbrechen der Vergangenheit zu übernehmen. Sie gibt den Europäern die Schuld oder stellt sich selbst als Opfer dar.

Wird ihr neues Werk in der Türkei Beachtung finden?

Erstmal gar nicht, die Zeit ist noch nicht reif dafür.