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nachruf: sybille simon-zülchSie liebtedas Fernsehen

Foto: privat

Sybilles Lachen, so herzerfrischend ansteckend, ist unvergesslich. Sie lachte so gern und fand fast in jeder Situation etwas Komisches, Lustiges, Skurriles. Sie konnte mit wenigen Sätzen die absurde Handlung einer Telenovela so genussreich wiedererzählen, dass man fühlte: Die kritische Energie war aus der Lust geboren, mit der sie Stunden im Fernsehen zubrachte, auch in seinen Seichtgebieten.

Sybille Simon-Zülch, Mitgründerin der Bremer taz und eine der profiliertesten Fernsehkritikerinnen Deutschlands, ist am vergangenen Samstag gestorben. Fernsehen war für sie, 1945 geboren, seit ihrer Kindheit nichts, wozu man bildungsbürgerlich kritischen Abstand hielt. Sie liebte das Fernsehen und wollte, dass es vor allem gut unterhielt.

Was aber ist gute Unterhaltung? Sie war eine strenge Richterin. Mit scharfem Blick notierte sie, was langweilig, konventionell und mutlos war. Sie liebte die Zuspitzung, ihr scharfzüngiges Urteil konnte hart sein. Der Satz Walter Benjamins, echte Polemik nähme sich ihren Gegenstand so liebevoll vor, „wie ein Kannibale sich einen Säugling zurüstet“, trifft es. Polemik ist eine zu Unrecht diskreditierte Lust an der Auseinandersetzung, am möglichst brillanten Ausdruck einer eigenen Position.

Ihre Urteile hatte Sybille sich zuvor sehr penibel und skrupulös abgerungen, das war harte Arbeit. Ihre Texte waren so leichtfüßig zu lesen, dass es eine wahre Freude war. Aber entstanden sind sie in sich selbst gegenüber unnachgiebiger Suche nach dem richtigen Wort, dem richtigen Ton, im Ringen um den ersten Satz, den Grundstein des Textes.

Sybille konnte aber nicht nur mit Verve Verrisse schreiben, sie konnte genauso gut loben. Wenn ihr etwas gefiel, hielt sie damit nicht hinterm Berg. Dem Fernsehwerk Dominic Grafs hat sie Elogen geliefert, manche Schauspielerinnen und Schauspieler konnten bei ihr nichts falsch machen, manche allerdings auch fast nichts richtig. Um Neues aufzuspüren, guckte sie nicht nur kreuz und quer, sondern weit über den deutschen Tellerrand hinaus. Ganz selten nur gelang es, Sybille eine Serie von irgendwo in der Welt zu empfehlen, die sie noch nicht gesehen hatte. Ihr immenses Wissen war beeindruckend.

Man lese noch einmal ihre Berichte über das Fernsehjahr in „epd medien“ oder ihre wöchentliche Kolumne in der Stuttgarter Zeitung. Das ist eine Chronik des deutschen Fernsehens im Brennspiegel eines subjektiven, pointierten Urteils. Es ist das ganze Fernsehen, das Hohe und Flache, das für sie eben nicht flach war, wenn in ihm etwas zu spüren war, was es unterschied von den Konventionen. Und diese regieren ja auch das ‚anspruchsvolle‘ Fernsehen und machen es häufig so öde und vorhersehbar. Im Jahr 2000 wurde sie mit dem Bert Donnepp- Preis für Fernsehkritik geehrt, in unzähligen, häufig unendlich langen Sitzungen hat sie als Jurorin für den Deutschen Fernsehpreis und den Grimme Preis gearbeitet.

Eine glänzende Kritikerin ist gestorben. Aber wie viel mehr war sie für die, die sie kannten und liebten! Bis in den frühen Morgen konnte man mit ihr zusammensitzen, sich reiben, diskutieren, lachen. Man war immer bestens unterhalten. Christine Spiess

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