Parteipolitik als Privatvergnügen

Die Seniorenpartei „Die Grauen“ will zur Bundestagswahl antreten. Eifrig sammeln die sechs aktiven Mitglieder Unterschriften. Was ihnen fehlt sind Geld und Unterstützer – und eine bundespolitische Führungsfigur

bremen taz ■ Es nieselt auf dem Markt in der Neustadt, Lastwagen brausen die Pappelstraße herunter. Hans-Peter Onken hat jedoch keine Mühe, sich bemerkbar zu machen. „Ich bin der Spitzenkandidat und der Landesvorsitzende“, ruft er einer älteren Frau zu, die mit ihrem Gehwagen vor dem Stand der „Grauen Panther“ hält. Der 63-Jährige möchte, dass sie sich in die Liste derjenigen einträgt, die dafür sind, dass die Seniorenpartei zur Bundestagswahl antritt. 485 Unterschriften benötigt er. „Die haben wir fast zusammen“, sagt Onken. Montag wird er seine Listen beim Wahlamt abgeben. Jede Partei, die nicht in einem Länderparlament vertreten ist, muss Unterschriften sammeln, in Flächenländern sind es bis zu 2.000. „Die haben wir jedes Mal zusammen bekommen“, sagt Onken, der demnächst voll in den Wahlkampf einsteigen will.

„Unser Etat für die Europawahl lag bei 167 Euro“, erzählt Onken lachend. Geld sei das größte Problem der Grauen, vorrangiges Ziel daher, in den Genuss der staatlichen Wahlkampfkostenerstattung zu kommen, sagt Onken. Dafür müsste die Partei über 0,5 Prozent der Stimmen erzielen, so viel wie die Grauen bei den Wahlen 1998 und 2002 in Bremen bekamen.

„Die Grauen haben viel für die Senioren getan. Ich finde es wichtig, dass die bei der Wahl antreten“, sagt eine 46-jährige Neustädterin, die sich in die Unterschriftenliste einträgt. Wählen will sie allerdings eine andere Partei, dafür ist ihr das Kreuz dann doch zu wichtig. Aber Parteigründerin Trude Unruh findet sie „doch irgendwie witzig“.

Die ist dieses Jahr 80 geworden und gilt vielen in der Partei immer noch als Ikone. Sie saß für die Grünen im Bundestag, bildete 1989 aus dem Seniorenverband „Die Grauen Panther“ eine Partei, profilierte sich mit frechen Sprüchen gegen etablierte Parteien, wandte sich gegen die Ausgrenzung alter Menschen. Das machte sie und die Grauen bekannt. Mittlerweile ist es ruhig geworden um Unruh, die innerparteilich in die Kritik geraten ist. Es gibt Jüngere, die die Partei öffnen wollen, um mehr Stimmen zu erzielen.

Hans-Peter Onken ist seit eineinhalb Jahren Landesvorsitzender. An seinem Stand hat er zweimal Trude. Ein Foto der Vorsitzenden klebt an dem wackligen Wahlkampftisch, dahinter steht eine leibhaftige: Trude Santel ist von Beginn an dabei. Vor ein paar Wochen hat man ihr ein neues Kniegelenk eingesetzt, seit drei Tagen ist sie aus der Rehaklinik zurück. „Wäre ja noch schöner, wenn ich nicht dabei wäre“, sagt sie und bewegt sich mit Doppelstockeinsatz auf einen jungen Mann zu, um ihm die Unterschriftenliste unter die Nase zu halten. „Jungen Menschen sage ich immer: Kommt zu uns, wir kämpfen auch für eure Rente“, wirbt die 68-Jährige.

Zu dumm, dass der junge Mann selbst ein Klemmbrett mit Zetteln des Wahlamtes unter dem Arm hat. Er kommt von der „Allianz für Gesundheit, Frieden und soziale Gerechtigkeit“, die ebenfalls versucht, zur Wahl anzutreten. „Wir sind ein wenig linker und liberaler als die Grauen“, sagt der 26-Jährige. Dennoch würde er die Liste der Seniorenpartei unterschreiben, wenn er das nicht schon auf der eigenen gemacht hätte. Solidarität unter Kleinen, nennt man das wohl.

„Wir wollen eine Grundsicherung für alle Menschen“, sagt Hans-Peter Onken. Bei 1.200 Euro solle die liegen, also 50 Euro weniger als die Linkspartei fordert. Er selbst kam jedoch wegen anderer politischer Inhalte zu den Grauen. Vor ein paar Jahren habe er für seine Schwiegermutter einen Pflegeheimplatz gesucht, erzählt der pensionierte Lehrer. Da habe er viel Elend gesehen. „Die Heimaufsicht muss verbessert werden, am besten sollte man Heime abschaffen und die Menschen zu Hause pflegen“, sagt Onken. Geld dafür sei da, Subventionen gehörten gestrichen, Steuerschlupflöcher geschlossen. Dafür will er kämpfen, mit den sechs Aktiven, die es bei den Bremer Grauen gibt.

Die können an diesem Vormittag nicht viele Bürger von sich überzeugen. Die meisten gehen achtlos an dem kleinen Stand mit dem nassen Sonnenschirm vorbei, reagieren nicht auf die Bitten der Grauen. „50 Prozent der Leute, die ich anspreche, unterschreiben“, sagt hingegen Hans-Peter Onken, dessen ganze Familie mit eingebunden ist. Frau Elke steht mit am Stand, Tochter Svantje hat privat gesammelt, selbst die 21 Monate alte Enkelin Lara hält einen Luftballon der Grauen in der Hand. Viel helfen können sie ihrem Vater und seiner Partei nicht. „Wir brauchen mehr Menschen und mehr Geld“, sagt Onken. Für diesen Wahlkampf hat er 400 Euro zur Verfügung, allein 360 sind bereits für Flyer ausgegeben. Er wird wieder privat was „dazubuttern“ müssen.

Am Ende des Tages zeigt sich ein wenig die Sonne. Onken hat die nötigen Unterschriften zusammen, auch wenn die alte Frau mit dem Gehwagen nicht unterschrieben und nur gefragt hat: „Graue? Wer braucht denn die?“ Kay Müller