Festivalempfehlung für Berlin: Wider das Überwältigungsgewaber
Das Mini-Festival „Berlin is not Bayreuth“ widmet sich in seiner ersten Ausgabe ausschließlich einer urdeutschen Legende: Wagners „Tannhäuser“.
Wagner ist nicht jedes Menschen Sache. Germano-mythisches Geraune, musikalisches Überwältigungsgewaber und mörderische Gesangspartien machen den Groß-Tonmeister insgesamt eher schwer verdaulich. Außerdem war er schon Nazi, als es das Wort dafür noch gar nicht gab, auf jeden Fall aber fanatischer Antisemit, und schrieb sehr ekelhafte Dinge über den Kollegen Mendelssohn, dem er musikalisch so viel zu verdanken hatte.
Es gibt reichlich Gründe, Wagner zu hassen. Andererseits war er zweifellos ein großer Künstler. Und da es leichter ist, im Kanzleramt ein Nolde-Bild abzuhängen als die riesige Richard-Wagner-Verwertungsmaschinerie abzustellen oder ihr nur einfach mal den Rücken zu kehren, pilgern Jahr für Jahr die Mächtigen und Reichen zu den Bayreuther Festspielen und ziehen dafür ihr schönstes Kleid an.
So. Aber „Berlin is not Bayreuth“, wie die Leute von glanz&krawall in fließendem Nichtdeutsch ein kleines Festival betitelt haben, das Ende August im eher wenig glamourösen Lichtenberg über die Bühnen der B.L.O.-Ateliers geht. Auf jeden Fall ist damit zu rechnen, dass der Zugang dieser Berliner Mini-Festspiele zum Wagnerschen Œuvre deutlich weniger weihevoll ausfallen wird als das Bayreuther Original. Zudem beschränkt man sich klug auf ein einziges Werk: „Tannhäuser“ wird gegeben.
Möglicherweise eher zerlegt, das wird abzuwarten sein. Der ursprüngliche, vollständige Titel der 1845 in Dresden uraufgeführten Oper lautete „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg“. Jener Sängerkrieg, ein musikalischer Wettstreit der namhaftesten Minnesänger, ist eine urdeutsche Legende, deren historischer Wirklichkeitsgehalt jeder Überprüfbarkeit entzogen ist.
Für die Zwecke seiner Oper verknüpfte Wagner sie mit der Legende des Heinrich von Ofterdingen, der zum Papst pilgerte, um Absolution zu erhalten. Der Büßer Heinrich und der Sänger Tannhäuser werden in Wagners Libretto zu einer Figur: Tannhäuser, der zunächst eine ausgedehnte Zeit voller Sinnesfreuden im mythischen Berg der Venus genießt, kehrt auf die Wartburg zurück, um am Sängerstreit teilzunehmen und die Hand der schönen und tugendhaften Elisabeth zu gewinnen.
Beim Wettbewerb verursacht er einen Eklat, indem er die anderen Sänger schmäht, weil deren Musik jeder Sinnlichkeit entbehre. Andererseits drückt Tannhäuser das Gewissen wegen seiner sexuellen Ausschweifungen: Er darf den Sängerstreit ja gar nicht gewinnen, weil er Elisabeths noch nicht würdig ist. Der Einzige, der helfen kann, ist da der Papst. Also nichts wie auf zum Vatikan …
In der Gesamtheit ergibt sich ein reichlich krudes, mit lüsterner Schwülstigkeit unterfüttertes Handlungsgemisch. Man könnte auch sagen: eine schöne Steilvorlage für die zahlreichen Berliner Bühnenheroinnen und -heroen, die glanz&krawall sich zur Unterstützung ihres operesken Vorhabens mit ins Boot geholt haben. So nimmt am Lichtenberger SängerInnenstreit unter anderem der Köpenicker Rapper Romano teil, der in der Hiphop-Szene mit Titeln wie „Klaps auf den Po“ oder „Brenn die Bank ab“ unterwegs ist.
Die spitzzüngige feministische Performerin Vanessa Stern, die bisher als Sängerin nicht wirklich aufgefallen ist, kommt mit einigen Mitstreiter*innen. Die Puppentheatergruppe Das Helmi sowie die Sängerin und Schauspielerin Cora Frost zeichnen gemeinsam für die Ausgestaltung der Vatikanszenen verantwortlich. Zur weiteren musikalischen Diversifizierung des Ganzen sind das Electro-Soul-Duo Tanga Elektra und die griechische Avantgarde-Pop-Musikerin Melentini dabei.
Das Vorhaben trägt ernsthaften Festivalcharakter, das heißt, es werden mehrere Bühnen auf einmal bespielt, und man darf (muss aber nicht) eigenes Essen und Trinken mitbringen, um draußen zu picknicken.
Auf ihrer Website berlinisnotbayreuth.de, auf der diese und viele andere Informationen nachzulesen sind, schreiben die VeranstalterInnen „Um sich den Gesamtkosmos BERLIN is not BAYREUTH. Vol. 1: TANNHÄUSER zu erschließen, empfiehlt sich ein mehrtägiger Festivalbesuch, da die Bühnen parallel bespielt werden.“ (Der Preis eines Festivalpasses beträgt dabei übrigens nur die Hälfte dessen, was drei Einzeltickets kosten würden)
Dass es sich bei diesem Festival um „Vol.1“ handelt, weist wohl darauf hin, dass tendenziell weitere Wagner-Outings angedacht sind. Bestimmt auch nicht ganz zuletzt deshalb, weil „was mit Wagner“ gerade zur Festspielzeit so staatstragend klingt, dass die Leute in den Fördergremien damit auf jeden Fall was anfangen können.
Berlin is not Bayreuth: B.L.O.-Ateliers, Kaskelstraße 55, 23. – 25. 8., Ticketpreise gestaffelt
Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg immer Donnerstags in der Printausgabe der taz
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