kolumne die eine frage: Greta ist großartig!
Kann man Thunberg mit Christoph Kolumbus vergleichen?
Peter Unfried
ist Chefreporter der taz
Die Segelschiffsreise von Greta Thunberg, 16, nach Amerika erregt die Leute wie sonst nur Identitätspolitik. Die einen finden es vorbildlich, dass die Klimapolitikaktivistin nicht zum UN-Klimagipfel fliegt, die anderen finden es nicht vorbildlich, weil indirekt halt doch auch Emissionen entstehen, wie die taz berichtete. Die Dritten finden es ganz schlimm, dass man auf diese Emissionen hinweist. Die Vierten sagen, sie hätte skypen sollen, das wäre wirklich vorbildlich. Den Fünften ist das mit der Hightechsegeljacht einfach zu fett. Die Sechsten sagen, sie hätte fliegen sollen wie jeder normale Mensch auch. Die Siebten beklagen die Heiligenverehrung von Thunberg. Und den Achten geht die junge Frau einfach auf die Nerven. Bitte entschuldigen Sie, wenn ich Ihren persönlichen Einwand übersehen haben sollte.
Die religiöse Anbetung ist einfach zu erklären, sie funktioniert analog zu der Jesu Christi, der die Menschheit retten musste, weil sie es selbst nicht draufhatte. Warum wird aber Thunberg für ihr Engagement brutalst kritisiert, und warum wird an ihr rumpsychologisiert, bis es raucht?
Es gibt zwei zentrale Gründe. Das folgt aus der Logik jeder Verhinderungsindustrie: Ignoriere das Problem (Erderhitzung), stell die Charakterfrage (die ist blöd, krank, fies), oder beschwöre böse Mächte (Eltern, Eliten, Ideologen). Es folgt aber auch aus der praktizierten Kultur eines festangestellten Bildungsbürgertums, das sich politisch – links, liberal wie konservativ – zumindest in der Außendarstellung auf Charakter- und Inszenierungsfragen, die „richtige Sprechposition“ und die Suche nach „Schuldigen“ reduziert hat. Die einmalige Verwendung des Wortes „Fickmaus“ von einem Politiker im Suff würde die Mediengesellschaft hyperventilieren lassen. Die politische Vernichtung der Zukunftsindustrie Solar und der Rückbau der Windbranche mit seinen realen Konsequenzen verläuft weitestgehend undebattiert. Ich will das nicht gegeneinanderstellen, nur klarmachen, worüber wir bisher sprechen wollen. Und worüber nicht. Über Klimapolitik.
Besonders putzig ist in dem Kontext die Idee, urplötzlich auftretende und massenhaft praktizierte individuelle „Vernunft“ würde den Durchbruch bringen. Look at yourself.
Thunbergs Reise ist nicht geradeaus vernünftig, sondern eine poetische Kurve. Das ist der Witz daran. Es ist der Versuch, einen neuen Weg zu finden, nachdem die scheinbar vernünftigen Wege ins Nichts geführt haben.
Indirekt bringt die Reise zutage, was wir für Vernunft halten. Etwa: Ergibt es Sinn, für einen 20-Minuten-Vortrag irgendwohin zu fliegen? Selten. Die meisten fliegen dennoch. Man weiß ja nie. Niemals würde man für einen sinnlosen Vortrag zwei Wochen lang segeln. Also redet man sich ein, dass es vernünftig ist, sinnlos zu fliegen. Das sind wir.
Greta Thunberg verweist auf eine anderen Sinn des Reisens, einen anderen Sinn des Lebens und ein anderes Verständnis von Politischsein. Es geht ihr darum, ihre Zeit für das einzusetzen, was ihr wichtig ist, das ist die Moral dieser Geschichte. Also staatliche, europäische und transnationale Klimapolitik. Deshalb reist sie nach New York, um dort zu sprechen. Weil sie vor Ort sein muss, wenn sie Einfluss auf die Player dort, die Veranstaltung und deren Medienrezeption nehmen will. Das geht nicht mit einer Skype-Schalte. Indem sie aber in ein Segelboot gestiegen ist, also „unnormal“ reist, verlängert sie die Aufmerksamkeit für die Dringlichkeit von Klimapolitik maximal.
Sagen wir es in aller Nüchternheit: Greta Thunbergs Segelschiffsreise nach Amerika könnte die wichtigste werden seit Christoph Kolumbus. Die epochale Dimension freilich müssen Gesellschaft und Politik danach im Wechselspiel realisieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen