Noch eine Krise im Kino ?

FILMREIHE CINEMA! ITALIA! Die diesjährige Auswahl neuer Spielfilme aus Italien setzt sich mit den gesellschaftlichen Auswirkungen der tiefen Wirtschaftskrise des Landes auseinander

VON GASTON KIRSCHE

Neue und anspruchsvolle italienische Produktionen laufen beim jährlichen Festival des Italienischen Films im Original mit deutschen Untertiteln – dieses Jahr wird CINEMA! ITALIA! 15. Zeit, sich nach der Pubertät zu orientieren in der Arbeitswelt: Drei von sechs Filmen stellen dieses Jahr die sozialen Verwerfungen durch die Krise in den Mittelpunkt. Unter der nichtgewählten Technokratenregierung von Mario Monti haben sich das Schuldenkrisendiktat und die Privatisierungsdoktrin noch weiter verschärft. Die Verzweiflung nimmt dramatisch zu, aber auch die teilweise filmreife Empörung.

So besetzten 100 Minenarbeiter in der einzigen, von Schließung bedrohten Kohlenmine Carbosulcis auf Sardinien nicht nur – sie verschanzten sich Ende August mit 350 Kilo Sprengstoff 400 Meter unter Tage. Als sie ein Fernsehteam besuchte, schnitt sich ein Minenarbeiter mit einem Messer den Arm auf, um dramatisch zu zeigen, dass es um ihre Existenz geht.

Das Kino Italiens ist schon seit Jahren in der Krise, behauptete zumindest der Regisseur Ermanno Olmi bereits vor Jahren in „La Repubblica“: Für Olmi spiegelt das Kino die „globale Krise, die alle Gesellschaften betrifft, nicht nur die italienische.“ Dabei meint er „ Das Kino zeigt, dass sich unsere Realität in einem ziemlich konfusen und orientierungslosen Zustand befindet“.

Der italienische Historiker Ernesto Galli della Loggia erklärte im „Corriere della Sera“ den Neorealismus definitiv als Historisch – er sieht ihn gekoppelt an vergangene, starke soziale Bewegungen: die Christliche oder die Kommunistische: „Das Kino war Ausdruck einer populistischen und antibürgerlichen Ideologie, deren Höhepunkt der Neorealismus war.“ Für Galli della Loggia als Konservativen steht eine Identitätssuche an, kein Neorealismus: „Im globalisierten Westen, der weder Volk noch Politik kennt, entdeckt das Kino nun, wie schwer es ist, sich der Demokratie und menschlicheren Themen zu widmen ... “ Ob die diesjährige Filmauswahl ihm Recht gibt und es um die Stiftung einer italienischen Identität geht? Oder geht es, auch in Zeiten paralysierter sozialer Bewegungen, neorealistisch um soziale Konflikte? Aber zeigt die Auswahl nicht die unterschiedlichsten Zugänge zu italienischen Realitäten?

„La nostra vita“, (“Unser Leben“) , von Regisseur Daniele Luchetti, bekannt durch seinen vorigen Film „Mein Bruder ist ein Einzelkind“, beginnt fröhlich. Eine Hochschwangere und ihr Mann liegen zusammen auf dem Bett und singen zusammen ein Lied mit. Aber bald steht der Bauarbeiter Claudio (vielschichtig gespielt von Elio Germano) vor unerwarteten Problem. Seine Frau stirbt bei der Geburt, er steht mit den Kindern alleine da. Auf der Baustelle scheint sich eine gute Gelegenheit zu ergeben, mehr zu verdienen: als Subunternehmer, der eine ganze Baustelle eigenverantwortlich betreut. Aber so gerät Claudio in neue Probleme. Aber er wird unterstützt. Sein Alltag, mit den Kindern, der Arbeit ist eine ständige neue Herausforderung. Es wird gelacht, geweint, gekämpft... Die Kamera ist in „La nostra vita“ oft dicht an den Gesichtern, nah an den Menschen. Die Zuschauenden mittendrin im prekären Familienleben.

In „Il mio domani“, Die Zukunft liegt vor mir, erzählt Regisseurin Marina Spada von einer scheinbar erfolgreichen Geschäftsfrau in Mailand, Monica (überzeugend gespielt von Claudia Gerini). Aber durch den Tod ihres Vaters gerät ihr Leben plötzlich aus den Fugen. Die toughe Businessfrau muss sich dem Scheitern von Beziehungen stellen. Die Kameraeinstellungen in „Il mio domani“ sind ebenso eine gelungene Bebilderung des Arbeitens in einer Konzernzentrale wie auch der persönlichen Auseinandersetzungen, die sich nicht wirklich von der Arbeit trennen lassen.

Die Zuschauenden sind hier auch in Distanz zur Protagonistin, durch Auslassungen, die auffordern eine eigene Sicht zu denken.

In „L‘Industriale“, Der Unternehmer zeigt uns ein Altmeister, Giuliano Montaldo, der Regisseur von „ Sacco und Vanzetti“ seine Sicht der Krise: Dass die sozialen Verwerfungen, Angst vor Verlust die schlechtesten menschlichen Eigenschaften zum Vorschein bringen können. Nicola (Pierfrancesco Favino) gehört eine Fabrik in Turin, ein Familienbesitz. Ohne Konzern im Hintergrund gerät die Fabrik durch die Wirtschaftskrise in die Schuldenfalle. Er ist gestresst, gehetzt. Da hilft auch die teure Armbanduhr, ein großes Haus nicht weiter. Die Ehe von Nicola und Laura (Carolina Crescentini) ist auch in der Krise, aber eigentlich braucht er Geld von ihr, um die Fabrik am laufen zu halten. Der Unternehmer ändert sich, wird skrupelloser. Aber kann er dadurch seinen Besitz, seine Ehe retten? Nicola, l’Industriale“, kann sich im Film mehrmals entscheiden. Die Inszenierung ist spannend, die Filmmusik steigert die Dramatik noch. Fast ein Lehrstück, was sich hier vor unseren Augen abspielt. Die Krise wird tiefe Spuren hinterlassen.

Donnerstag, 6. 9. - Mittwoch, 12.09., Metropolis, Kleine Theaterstr. 10, Hamburg, und Kommunales Kino Lübeck Mengstraße 35, Lübeck. Infos: http://www.cinema-italia.net